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Kultur: Im Maul des Molochs

Wie ein Verdikt hängt die Forderung der engagierten Kritik und der ihr verpflichteten Theatererfinder auch über diesem Abend: die Bühne müsse doch mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit korrespondieren, die freie künstlerische Setzung möge den Zuschauer zu einem differenzierten Blick auf seine Umgebung befähigen.Und wo der pädagogische Eros erlahmt, hilft die Musik über die Not hinweg.

Wie ein Verdikt hängt die Forderung der engagierten Kritik und der ihr verpflichteten Theatererfinder auch über diesem Abend: die Bühne müsse doch mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit korrespondieren, die freie künstlerische Setzung möge den Zuschauer zu einem differenzierten Blick auf seine Umgebung befähigen.Und wo der pädagogische Eros erlahmt, hilft die Musik über die Not hinweg.

Die Regisseurin Mechthild Erpenbeck nimmt sich also der Großstadt an."Spontane Ratlosigkeit versiegelter Säulen im Häusermeer - eine Vermessung" meint mit seinem schwurbeligen Titel einen vielgliedrigen Zitatenschatz, der von Troja und dem Flächennutzungsplan, vom neuen Berlin und von der alten Unlust am verwalteten Dasein kündet.Drei Schauspieler konstruieren zwischen Säulen ein ordentliches Sprachmuster, das den Moloch Stadt am Ende doch als sozialdemokratisch befriedeten Lebensraum erscheinen läßt.Das liegt weniger an der Wucht der Fragmente, die von der Apokalypse über Hitler bis zu Reemtsmas Traktat "Im Keller" reichen - vielmehr hat der intellektuelle Turbo Mechthild Erpenbecks den Diskurs schon vorher entschieden.Die Schauspieler sind Konzepthülsen.

Auch dieses Theater mißtraut dem Konflikt als theaterschaffender Kraft.Stephan Meyer-Kohlhoff ist im engeren Sinn für die Bau-Aspekte zuständig, Doris Prilop gibt eine irritierte Frau aus dem Untergrund, und wenigstens Tessie Tellmann darf sich als flanierende Einwohnerin in Hut und Mantel gelegentlich für komische Nummern zur Verfügung stellen.Das tut sie so volkstheatermäßig, mit einer naiven Lust an der schlichten Pointe, daß sie in das distanziert-coole Sprachspiel eigentlich gar nicht hineinpaßt.Das scheint gewollt zu sein, macht aber die Veranstaltung nicht stimmiger.Auch die drei Sänger-Vermesser in Orange, die frühe Mehrstimmigkeit erklingen lassen, schaffen gewiß einen präzis gearbeiteten Assoziationsüberbau.Was dabei herauskommt, ist weniger eine Mutmaßung über die Epoche der Kathedralen als eine nervig fremd bleibende Tonquelle.Über neunzig Minuten bleibt der Einfall fruchtlos.Ihr Ordnungsgebaren gerät nie in Kollision mit anderen Lebensentwürfen, die sich die Stadt auch erschaffen hat.Die gedanklichen Schichtungen Mechthild Erpenbecks eignen sich eher für einen freien Filmessay.Der Bühnenraum bewahrt nun einmal eine dramatische Provokation, der entsprochen werden muß, wie auch immer; Risiko und Gefahr (des Scheiterns) inklusive.Das will man sehen.Hier jedoch ist eine ängstliche, unsichere Dramaturgie zu beobachten, die mit jedem Zitat einen Airbag einbaut und sich vor Kollisionen schützen will.

Bei der letzten Geldvergabe des Senats ging Erpenbeck leer aus - mit Recht.Die Förderpraxis des Beirats für freie Gruppen hat in der Vergangenheit viel zu oft derartige Kopfgeburten bezuschußt.

Sophiensäle, bis 25.Januar.Mittwoch bis Montag, jeweils 20 Uhr.

REINER SCHWEINFURTH

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