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Die Schrift an der Wand. Waltz-Tänzer suchen einen Ausweg aus der Wellness-Welt.

© Stache/dpa

Sasha Waltzs „Rauschen“ an der Volksbühne: In der Wohlstandshölle

Die erste Koproduktion von Sasha Waltz & Guests mit der Volksbühne: „Rauschen“ übt Kritik an der neoliberalen Gesellschaft.

Von Sandra Luzina

Zuerst spitzt man die Ohren. Songs von den Beatles kamen in den Tanzstücken von Sasha Waltz bislang nicht vor. Für „Rauschen“, die erste Koproduktion von Sasha Waltz & Guests mit der Volksbühne, hat die Choreografin einige Lieder vom „Weißen Album“ der Beatles ausgewählt. Passend zum Konzept. Denn auch die Bühne ist ein vollkommen weißes Halbrund, das später besprüht und bekritzelt wird.

In dieser steril reinen Welt bewegt sich eine Schar Tänzer in blütenweißen eleganten Overalls (Kostüme: Bernd Skozig), nur drei Performer sind dunkel gekleidet, was sie aber noch nicht zu schwarzen Schafen, zu Störfaktoren macht. Schon das Solo einer Tänzerin zu Beginn macht deutlich: Es sind vollkommen haltlose Wesen, die diese Kunstwelt bewohnen, sich selbst entfremdet und innerlich leer. Die Frau wirft abrupt den Kopf nach hinten, knickt in den Knien ein, zieht die Schulter hoch, verdreht die Hüfte. Was zunächst wie nervöse Ticks anmutet, doch das Rucken und Zucken wird immer stärker. Die roboterhaften oder mechanischen Bewegungen werden auch in den Gruppenszenen ausdauernd variiert. Dazu sind verfremdete, sich überlagernde Geräusche zu hören. Oder eben ein Beatles-Song.

Das reale Leben, das reale Drama

Der Titel „Rauschen“ ist wohl vom Begriff „white noise“ hergeleitet. Hier meint er das Hintergrundrauschen der Konsumwelt mit ihren Versprechen von einer perfekten Welt. Es geht Sasha Waltz also wie schon in der Vorgängerproduktion „Exodos“ um Zeitkritik, doch die bleibt im Plakativen stecken. Der erste, weiße Teil trägt leicht dystopische Züge, wobei Waltz auf unsere neoliberale Gesellschaft abzielt. In kurzen Ausbrüchen geben die Tänzer ihre Ängste und Schwächen preis.

Doch dann nähert sich schon eine digitale Sprachassistentin, die sich hier in einen Humanoiden verwandelt hat. „Du bist etwas Besonderes!“ oder „Du hast so viel Potenzial!“ – die Mantras des positiven Denkens werden heruntergebetet. Doch wie prickelnd kann eine Unterhaltung mit Siri oder Alexa sein? Waltz überspitzt die Szene nicht zur grellen Farce, verstörend wirken diese durchgenormten Existenzen nicht. Auch später nicht, wenn die Tänzer Waschtische und in Plastik eingeschweißte Matratzen auf die Bühne schleppen und ein Mann unter den Folien zappelt.

Wir leben in einer Scheinwelt mit lauter Luxusproblemen, suggeriert Waltz. Das reale Leben, das reale Drama – dafür muss wieder mal die Figur des Flüchtlings herhalten. Aladino Rivera Blanco als Asylsuchender, der um sein Leben rennt, ist ein Interviewer auf den Fersen, der ihn aufdringlich befragt. Die Szene soll wohl auch eine Medienschelte sein.

Später hängt Blanca an einem Trapez in der Luft, er spricht die Artikel aus der Erklärung der Menschenrechte nach, die ihm ein Souffleur vorliest, und versucht zappelnd, sich oben zu halten, bis er am Ende doch abstürzt.

Waltz knüpft an ihre mythische Phase an

Das Stück zerfällt in drei Teile, die nicht recht zusammenpassen. Im mittleren Teil, der einen Übergang darstellen soll, findet ein Reinigungsritual statt. In einer Wellnessoase duschen ein Mann und eine Frau sich ausgiebig, bis ihre durchsichtigen Hüllen zerfließen. Die Putztruppe wischt nicht nur hinter den Nymphen des Badetempels her, sondern besprüht die halbrunde Wand mit schwarzer Farbe, bis dunkel zerlaufende Flächen die IIlusion des reinen Weiß zerstören. Die Schwarzmalerei verweist auf den dritten Teil, der nun eine Transformation zeigen soll.

Wenn die Tänzerinnen dann als barbusiges Kollektiv in schwarzen Röcken auftreten, wirkt das, als wolle Waltz die Feiern zum Internationalen Frauentag mit einem Ritual einläuten. Wie archaische Priesterinnen muten die Schwestern an, wenn sie in Plexiglasrohre blasen. Und in der Tat knüpft Sasha Waltz hier an ihre mythische Phase an, in der die Tänzerinnen die Göttin in sich entdeckten. Doch wenn sie mit den Röcken schwingen, in eine tiefe Hocke gehen, dann kündet das nicht von Frauenpower, sondern liebäugelt mit einer dekorativen Erotik. Der letzte, der schwarze Teil soll wohl eine Rückkehr zu wahren Gefühlen und aufbegehrenden Körpern darstellen. Doch der Trip in die Innenwelten erzeugt keinen Aufruhr, stattdessen wirft sich die Truppe in Exaltationen, bis sich der Tanz am Ende ganz verläppert.

Die Choreografie „Rauschen“ erschöpft sich in einer Schwarz-Weiß-Sicht der Welt. Auch künstlerisch beschreitet Sasha Waltz keine neuen Wege. Im April 2020 wird sie ihre erste Choreografie für das Staatsballett Berlin kreieren. Dann wird man sehen, ob sie der Compagnie neue Impulse verleihen kann.

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