Kultur: It’s the situation, you know
Premiere eines Bush-kritischen Kriegsfilms im Garnisonsstädtchen Carlisle: Amerikas Heartland hat sein Urteil über Irak gefällt
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Von Christoph von Marschall
Zwei 16-Jährige werden von einer US-Patrouille über das Brückengeländer in den Tigris geworfen, weil sie die Ausgangssperre missachtet haben. Der eine rettet sich ans Ufer, der andere ertrinkt. Lern schwimmen - oder stirb, die Eingangsszene setzt die Parabel für „The situation“ (Regisseur Philip Haas). Verständigung ist nicht möglich, die Soldaten sprechen kein Arabisch, die beiden Iraker im „sunnitischen Dreieck“ bei Samarra kein Englisch. Beiden Seiten fehlt der Zugang zu Verhalten, Denken, Kultur der anderen. Der Thriller erzählt Amerikas Weg in das Bürgerkriegschaos im Irak aus der Perspektive der Iraker, die die GI’s als dumme Brutalos erleben. Drehbuchautorin Wendell Steavenson konnte aus authentischen Quellen schöpfen. 2004 hat sie als Kriegsreporterin im Irak gearbeitet, mit ihrem Verlobten, einem einheimischen Fotografen.
Bisher ist der Film in den USA nur in wenigen Großstadtkinos zu sehen. Der Zulauf ist mäßig, dort ist man längst gegen den Krieg. Am Sonnabend hatte er Premiere in Pennsylvanias Provinz: Carlisle, 1751 von Iren und Schotten gegründet, heute 18 000 Einwohner mit dem Umland, ist ein Garnisonsstädtchen mit der ältesten Kaserne der USA. Das einladende Dickinson College, „erste Hochschulgründung nach Amerikas Unabhängigkeit“, hat sich um eine Kontroverse bemüht: General Robert Scales, pensionierter Kommandeur der traditionsreichen Militärakademie, diskutiert mit Lawrence Wilkerson. Der war Stabschef des Außenministers Colin Powell und ist seit dessen Ausscheiden 2004 einer der schärfsten Kritiker der Kriegsführung von Präsident George W. Bush.
Rund 600 Menschen füllen den Theatersaal im langen Reihen stoffgepolsterter Holzklappsessel mit viel zu kurzen Lehnen: die Mehrzahl Bürgertum im Alter von 40 bis 60, viele Studenten, auch einige, die nach Haarschnitt und Kleidung wohl dem Militär angehören. Keine Pfiffe ertönen während der Vorführung, niemand geht aus Protest hinaus, die Diskussion verläuft ruhig und sachlich.
Dabei wühlen die Szenen auf: arrogante US-Diplomaten und Geheimdienstler unter dem Porträt eines selig lächelnden Präsidenten, hilflose Forderungen nach „besserer Aufklärung“ über die Widerstandsszene, in der martialisch gesicherten „Green Zone“ in Bagdad mit ihren Swimming Pools, chinesischen Restaurants und wohlgefüllten PX-Läden für die Soldaten. Im Kontrast dazu der Alltag der Iraker mit verstörenden Hausdurchsuchungen durch Soldaten sowie Überfällen, Attentaten und Hinrichtungen angeblicher Kollaborateure durch die Aufständischen. „It’s the situation, you know“, ist der zum Titel gewordene Refrain, ob es um Verspätungen an Checkpoints, Stromausfälle oder überforderte GI’s beim Brückendrama am Tigris geht.
Die Iraker werden in der Vielzahl der Charaktere differenzierter gezeigt als die Amerikaner: der mit Leichen gesähte Kampf zwischen dem Polizeichef von Samarra, „The Sheik“, der sich von den Amerikanern bewaffnen lässt, aber seine Privatinteressen verfolgt, und dem Führer der Aufständischen Whalid, zuvor Oberst in Saddams Revolutionsgarde. Oder der Ex-Diplomat, der seiner Familie die rettende Versetzung an die Botschaft Sydney mit Informationen über Weggefährten erkaufen will. Natürlich, es ist auch eine Lovestory: die viel zu blonde und hübsche US-Reporterin (Connie Nielsen), hin und her gerissen zwischen ihrem Lover, ein Geheimdienstler, der die Herzen der Sunnis in Samarra mit einem Krankenhaus gewinnen will, und ihrem irakischen Fotografen.
In der Debatte versucht General Scales erst gar nicht, der Anklage zu widersprechen. „Meine Soldatengeneration ist im Glauben an den Triumph der Technik erzogen worden. In den Kriegen von heute ist die wichtigste Währung aber das Vertrauen der Zivilbevölkerung.“ Im Film hatte der US-Major gefragt: „Ein Krankenhaus aufbauen? Das habe ich nicht gelernt. Geben Sie mir was, was ich in die Luft jagen kann.“ Lawrence Wilkerson zählt nochmals die Kardinalfehler auf von der Auflösung der irakischen Armee über die „De-Baathifizierung“, die der sunnitischen Elite die Teilhabe verweigerte, bis zum Kampf gegen den Terror. „Die Ideen unserer Verfassung wären unsere stärkste Waffe. Doch ein Vizepräsident, der Folter rechtfertigt, zerstört den Glauben an die Überlegenheit unserer Ideen.“
Im Garnisonsstädtchen Carlisle herrscht soweit Konsens. Larry Goodson lehrt an der Militärakademie Kultur des Mittleren Ostens. Er sagt: „Die Botschaft des Films ist weder neu noch kontrovers. Wir wissen, dass die einfachen Soldaten zu wenig multikulturelle Kompetenz haben. Die Frage ist: Wie machen wir es besser?“
Neben ihm steht ein Oberst, Ende 40, Lehrgangsteilnehmer. Er äußert Detailkritik: „Die Uniformen sind nicht korrekt, wir würden auch nicht so ungesichert ein Haus stürmen.“ Er lässt aber auch durchblicken: Heute, 2007, ist „the situation“ im Irak noch viel schlechter als 2004, dem Jahr, in dem der Film spielt. cmx
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