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Dienender Interpret. Iván Fischer geht mit Respekt zu Werke.

© Marco Borggreve

Iván Fischer im Konzerthaus: Das Herrlichste, was er geschrieben

Große Musik des Abschieds: Iván Fischer dirigiert Gustav Mahlers neunte Symphonie im Konzerthaus.

„Mit höchster Gewalt“ des ganzen Bläserchors erklimmt der erste Satz der neunten Symphonie von Gustav Mahler seinen Höhepunkt, während die Partitur an ihrem Ende „ersterbend“ mit dem Pianissimo der Streicher verweht. Es ist das letzte Werk, das der Komponist vollendet hat, kontrastreich im Wechsel der Klangfarben, große Musik des Abschieds, dominiert von einem Motiv der Traurigkeit, dem Intervall der absteigenden Sekunde.

Als höchst willkommener Gast am Pult des Konzerthausorchesters, das er von 2012 bis 2018 als Chefdirigent geformt hat, geht Iván Fischer an das Werk mit einem Respekt, wie er ihm sonst nicht immer oberstes Gebot ist. Zunächst blättert er die Partitur gleichsam vor den Zuhörern auf, ohne sie klanglich mit Emotion aufzuladen. Es ist eine Position des langsamen Begreifens und Bewunderns ohne Pathetisierung. Die orchestrale Pracht seines Orchesters ordnet Fischer dem gedanklichen Zusammenhang des Ganzen unter, das in selbstständiger Stimmführung und polytonalen Akkordballungen die schmerzliche Grundstimmung zeichnet. Er beginnt die Aufführung im Konzerthaus als dienender Interpret, eher zurückhaltend, bis das Finale ganz aus seiner Gestaltung kommt. Dieses Adagio kann heute kein Herz mehr verfehlen.

Wohlklingend bis in extreme Register

Man muss sich vorstellen, dass die Uraufführung 1912 durch Bruno Walter, den hingebungsvollen Verteidiger der Musik Mahlers, in eine Zeit fiel, als es deren Weltgeltung noch nicht gab. In einem 1911 erschienenen Nachruf des bedeutenden Rezensenten Alexander Berrsche, der das Lob des Dirigenten Mahler singt, heißt es dazu: „Seine Kompositionen, die er sich mit zähem Fleiß abgerungen hat, werden dem folgen, was sterblich an ihm ist.“ Dagegen wird der Komponist Mahler abgöttisch verehrt von Schönberg, Webern, Berg, die die Neunte am Anfang der Neuen Musik sehen, „das Herrlichste, was er geschrieben hat“.

Fischers zunächst tastende, sich mit dem Werk steigernde Wiedergabe erinnert an diese Rezeptionsgeschichte. Den gemächlichen Ländler gibt er beschwichtigend eher elegant als „täppisch und sehr derb“. In der Rondo-Burleske setzt er besonders auf die Transparenz der polyphonen Parforcetour, bis die Stretta daraus alle Kraft gewinnt. Bei den Orchestersoli lässt er Horn, Flöte, Klarinette, Fagott ihre Freiheit zu eigener Faszination.

Aus dem Adagio aber spricht das Wesen des Streichorchesters, wohlklingend bis in extreme Register. Wie aus dem Motiv des Doppelschlags, einer musikalischen Zierfigur, herrlichste melodische Ausdruckskunst wird, das breitet Fischer mit dem Orchester vor gebanntem Publikum aus. Adagio, Molto Adagio, Adagissimo.

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