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Achim Kaufmann, 54, wohnt in Berlin-Wedding, spielt solo, im Trio und im Sextett.

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Jazzpianist Achim Kaufmann im Porträt: Wirf die Würfel in den Flügel

Der Berliner Jazzpianist Achim Kaufmann sucht unerhörte Klänge. Begegnung mit einem leidenschaftlichen Improvisator.

Von Achim Kaufmanns Wohnzimmerfenster aus blickt man auf einen noch naturbelassenen Wedding. Dönerläden beherrschen das Bild rund um Max- und Schulstraße, bei einer Erwerbsloseninitiative wird gerade Chili con Carne ausgegeben. Auf dem Tisch des Pianisten liegt die große weite Welt in Form eines Japanisch-Wörterbuchs.

In Tokio und einigen anderen Städten hat er vor Kurzem ein paar Konzerte gegeben. Eines allerdings fand in einer Patisserie statt, ein anderes in einer Tiefgarage. Selbst im vermeintlich jazzverrückten Japan hat es zeitgenössische Improvisationskunst nicht leicht. Klar, wenn Keith Jarrett kommt, setzen sich Pilgerströme in Bewegung. Aber ein deutscher Pianist namens Kaufmann? Den kennt selbst hierzulande nur der Fan.

Dabei gehört er zu den besten deutschen Musikern. Das hat auch die Jury des wichtigsten Jazzpreises erkannt, als sie dem 54-jährigen Kaufmann im letzten Jahr den Albert-Mangelsdorff-Preis verlieh. Ausgezeichnet wurde damit durchaus ein Lebenswerk: Konsequent hat der gebürtige Aachener, der in den achtziger Jahren in Köln studierte, seine eigene Klaviersprache entwickelt, eine Sprache, die von Johann Sebastian Bach über Jelly Roll Morton bis zu György Ligeti alles Mögliche umfasst – außer dem glattgebügelten Popjazz, der es mitunter in die Charts schafft.

Obwohl er die Strawinsky-Partitur zu „The Rake’s Progress“, die unter seinem Flügel liegt, vom Blatt spielen könnte, war Kaufmann nie ein virtuoser Tastenlöwe. Das Eckige, Kantige, Schroffe eines Thelonious Monk oder Herbie Nichols liegt ihm näher als die gefälligen Akkordbrechungen eines Erroll Garner, der smarte Groove eines Esbjörn Svensson.

Die Mutter war Klavierlehrerin, der Vater Dirigent

Bei dem Flügel handelt es sich übrigens um einen alten Ibach, „Alleinige Niederlage bei C.T. Wolters, Hamburg“ steht da noch am Rand geschrieben. Obenauf liegt Bela Bartóks „Mikrokosmos“.

Bartók spiele er immer mal wieder, sagt Kaufmann: „Der war einer der ersten Komponisten, die Geräuschhaftes, Mikrotonales und Folkloristisches auf westliche Instrumente übertragen und dabei ganz neue Klänge gefunden haben. Für mich ist er von allen europäischen Komponisten dem Blues am nächsten.“

Die Vertrautheit mit klassischer Musik rührt schon aus dem Elternhaus. Die Mutter war Klavierlehrerin, der Vater Dirigent. Aber um Klassik oder Jazz oder Pop geht es nicht, sondern darum, was gut ist: „Das kann auch afrikanische Musik sein oder Bob Dylan. Wenn es vielschichtig ist, wenn man immer wieder Neues in ihr entdecken kann. Klang, Rhythmus. Das kann man natürlich auch durch Komposition erreichen. Aber mein Mittel ist eben die Improvisation.“

Mit Magnetkugeln und Würfeln manipuliert Kaufmann den Piano-Klang

Neben dem Klavierhocker liegt ein ganzes Arsenal von Materialien, das dabei hilft, die Ebene nichttemperierter Geräuschhaftigkeit in die eigene Musik einzubeziehen: Schrauben, Schlüssel, Stifte, Küchengerätschaften, mit denen die Saiten zuweilen präpariert und bearbeitet werden. Kaufmanns neueste Entdeckung sind Magnetkugeln und Würfel, mit denen andere Postkarten an ihre Kühlschränke heften. Kaufmann wirft eine der Kugeln ins Flügelinnere, wo sie an einer Saite haften bleibt und dem Ton eine völlig neue Textur verleiht. Dann schiebt er die Kugel auf der Saite hin und her, sodass aus dem Flügel fast ein Streichinstrument wird.

Achim Kaufmanns dokumentiertes Werk ist angesichts der Länge seiner Karriere mit knapp dreißig Aufnahmen unter eigenem Namen relativ überschaubar. Frappierend ist dagegen die Vielfalt, die einem in diesen Aufnahmen entgegentritt: Da ist das völlig freie Spiel, das er seit vielen Jahren mit dem Saxofonisten Frank Gratkowski und dem Bassisten Willem de Joode pflegt. Beide Musiker kennt er noch aus seiner Zeit in Amsterdam, wo er von 1996 bis 2009 lebte.

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Gleichwohl ist dies Kaufmanns Formation, die mit den stärksten Reibungen, dem größten Mut zum Bruch spielt, und sich trotz der großen Vertrautheit miteinander keine Sekunde auf Improvisationsroutinen ausruht.

In Amsterdam hat Kaufmann auch den amerikanischen Saxofonisten und Klarinettisten Michael Moore kennengelernt. Auf drei gemeinsamen Alben zeigen die beiden ihre ganze Spannweite und eine Form totaler Verschränkung, wie sie wohl nur im Duo möglich ist: Ein Album präsentiert freie Improvisationen, ein anderes selbst komponierte Stücke, das dritte schließlich widmet sich ganz der Musik des früh verstorbenen Herbie Nichols.

Jenseits davon hat sich Kaufmann Standards lange verweigert. Erst auf seiner letztjährigen Solo-CD mit dem bezeichnenden Namen „Later“ (Pirouet Records) spielt er Klassiker wie Monks „Misterioso“ oder Duke Ellingtons „Mystery Song“.

Eine seiner vielen Bands ist die sechsköpfige Formation Skein

Heftiger gebärdet er sich dagegen im Spiel mit dem Bassisten Robert Landfermann und dem Schlagzeuger Christian Lillinger. Das Trio grünen gibt sich dabei so rau und kraftvoll, zart und hintersinnig, so wild und dicht wie kaum ein anderes Klaviertrio. Das hat man immerhin beim bedeutenden portugiesischem Clean-Feed-Label erkannt, wo bereits zwei Alben des Trios erschienen sind.

„Hier in Berlin“, sagt Kaufmann, „gibt es so viele tolle Musiker, dass ich mit zehn Bands spielen könnte. Aber man muss aufpassen, dass man sich nicht verzettelt.“ Eine seiner vielen Bands ist die sechsköpfige Formation Skein, unter anderem mit dem australischen Schlagzeuger Tony Buck, mit der Kaufmann schon eine Platte eingespielt hat, die von atemberaubender Komplexität und Offenheit ist. Das haben auch andere wahrgenommen: Mit Skein ist er zum Berliner Jazzfest im November eingeladen.

Am 14. Juli um 20.30 Uhr tritt Achim Kaufmann in der NoVilla in Niederschöneweide (Hasselwerderstr. 22) mit seinem Trio grünen auf, mit dem Saxofonisten Ernst-Ludwig Petrowsky als Gast. Eine ausführliche Diskografie findet sich unter achimkaufmann.com.

Tobias Lehmkuhl

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