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Fest des Geistes: Jedem Anfang wohnt ein Zirkus inne

Der Suhrkamp Verlag eröffnet in der Berliner Pappelallee sein neues Domizil. Das ist aber nur ein Provisorium, bevor der Verlag 2012 in der Brüderstraße das Nicolaihaus bezieht.

Von Gregor Dotzauer

Der Geist weht, wo er will, auch bei minus sechzehn Grad, in der „scharfen, wendigen Luft“ Berlins, die Peter Suhrkamp noch pries, als sein 1950 gegründeter Verlag die Geschäfte längst von Frankfurt am Main aus steuerte und ein tüchtiger Schwabe, Siegfried Unseld, in seine Dienste getreten war. Wer aber könnte, nachdem der Suhrkamp Verlag unter der Ägide von Ulla Unseld-Berkéwicz an den Ort seiner Gründung zurückgekehrt ist, bei solchen Temperaturen noch sagen, was genau die Luft ist und was der Geist. Hunderte von geladenen Gästen suchen Zuflucht in den beheizten Zelten, die im Hof des neuen Hauses an der Pappelallee in Prenzlauer Berg aufgebaut sind, und greifen nach heißen Getränken.

Es ist ein Dienstagmittag unter gleißender Wintersonne, und alle, wirklich alle sind gekommen, um die offizielle Eröffnung des Suhrkamp Verlags in der Hauptstadt zu feiern. Denn hier geht es ums „Beistehen, Beipflichten“, wie Ulla Berkéwicz gleich Peter Handke zitieren wird, der an der Seite seines Lektors Raimund Fellinger die drei Etagen unterm Dach des ehemaligen Finanzamts inspiziert und dabei auch ein Schwätzchen mit Sibylle Lewitscharoff hält. Handke ist neben Christa Wolf, Hans Magnus Enzensberger und Durs Grünbein indes nur einer von vielen großen Namen auf der Gästeliste. Mehr oder minder der gesamte deutschsprachige Autorenstamm – von B wie Reinhold Batberger bis Z wie Julia Zange – gibt sich zusammen mit Gastberlinern wie Marie NDiaye die Ehre und bildet eine Ehrfurcht gebietende Ansammlung literarischer und geisteswissenschaftlicher Prominenz. Dazu gesellen sich Kollegen aus anderen Verlagen, Politiker von Geißler bis Thierse, die Enkelin Peter Suhrkamps und Ninon Pulver, Unselds Tochter aus seiner Beziehung mit Corinne Pulver.

Man ist also trotz des Auftriebs ganz en famille, auch wenn es zur wirklich großen Familienfeier nicht reicht. Joachim Unseld, der Sohn aus der ersten Ehe des verstorbenen Patriarchen, ist natürlich absent. Mit ihm lag die Witwe in jahrelangem Rechtsstreit über die Geschicke des Verlags – zuletzt über dessen Umzug. Auch einige der sonst im Lauf der Jahre auf der Strecke gebliebenen Weggefährten fehlen. Wie hätte es anders sein können. Nicht einmal über die Verlegung der Bundesregierung von Bonn nach Berlin sei so heftig gestritten worden wie jetzt über den Umzug des Verlags vom Main an die Spree. Aber nun, sagt Ulla Berkéwicz, sei sie glücklich, es geschafft zu haben, und „dankbar und stolz“ auf ihre Mitarbeiter, die das gemeinsam mit ihr durchgestanden hätten. Siegfried Unseld, „klug, umsichtig und resilient“, hätte einen solchen Schritt „allein entschieden“.

Die Prinzipalin hat sich mit Hut und Schal winterfest gemacht. Nur ein Bruchteil der Zuhörer passt in das Zelt, in dem sie mit ihrem ganzen Schauspielercharme die Streitereien der letzten Jahre vergessen macht. Der Rest des Publikums verfolgt ihre Rede in einem zweiten Zelt per Video. Bernd Neumann hat sich noch einmal mit Hermann Hesses bis zum Überdruss zitierten „Lebensstufen“-Gedicht munitionieren lassen und weist auf den Zauber hin, der auch diesem Berliner Anfang innewohnt, und Klaus Wowereit, der Frankfurt den Verlag mit ungenannt verlockenden Angeboten abspenstig gemacht hat, spricht davon, dass mit dieser Rückkehr eines entscheidenden Teils deutscher Geistesgeschichte auch ein Stück Normalität wiederhergestellt sei, die vom Nationalsozialismus unterbrochen worden sei, auch wenn man die Ereignisse selbst nicht ändern könne. Dann tausendfüsslert es – ein gelbes Kachelbad für die Menge – durchs Treppenhaus in die vierte Etage zum Empfang hoch, wo die Mitarbeiter des Verlages die Gäste grüppchenweise durch die Abteilungen führen, inklusive der angeschlossenen Verlage Insel, Jüdischer Verlag, Deutscher Klassikerverlag und Verlag der Weltreligionen.

Das Haus in der Frankfurter Lindenstraße war ein in klaustrophobischer Sechziger-Jahre-Sachlichkeit schwelgender Bienenstock – kein Ort, den man mit großen Gedanken in Verbindung bringen würde. Auch der Aufbruch in die Pappelallee ist erst eine Befreiung auf dem Niveau einer universitär anmutenden Gebrauchsarchitektur. Die neue Adresse ist jedoch nur ein Provisorium, bevor der Verlag 2012 in der Brüderstraße das Nicolaihaus bezieht. Mit dem amtsblauen Charme der Gänge in der Pappelallee werden die Mitarbeiter jedenfalls schon mal zuverlässig auf die Berliner Verhältnisse eingenordet – oder vielmehr: eingeostet.

Wie bringt man einen Ort und seinen Geist heute zusammen? Institutionen wie Suhrkamp werden auch gefeiert, weil jeder weiß, dass die Medienlandschaft sie gar nicht mehr neu hervorbringen kann. Es sind Legenden, die sich programmatisch vielleicht sogar noch auf der Höhe der Zeit befinden: So hat Suhrkamp etwa mit der Edition Siegfried Unseld eine höchst anregende Taschenbuchreihe zwischen Natur- und Geisteswissenschaften eingerichtet. Ökonomisch aber ringt die Marke hart mit den Wirklichkeiten von Eventkultur und Thalia-Ignoranz, und was der Markt an Bitterkeiten nicht selbst hervorgebracht hat, das hat sich Suhrkamp in den letzten Jahren als Hire-and-Fire-Zentrale der deutschen Verlagslandschaft selbst zugemutet.

Was verändert dabei Berlin? Das Geschäft mit Büchern basiert nach wie vor auf persönlichen Kontakten. Doch nicht nur, dass sich unter dem allgemeinen ökonomischen Druck alte Loyalitäten auflösen, es hat sich eine Virtualisierung aller Beziehungen entwickelt, die physische Standortvorteile in Frage stellt. Deutschlands Literaturhauptstadt bietet sicher einen besonderen intellektuellen Nährboden. Ob Suhrkamp nun aber plötzlich andere Bücher einkauft und anders wirtschaftet? Der Umzug von Frankfurt nach Berlin war jedenfalls ein Spaziergang gegen den Weg, der dem Verlag in den nächsten Jahren bevorsteht.

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