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Feinschliff. Lektor Perkins (Colin Firth) und Autor Thomas Wolfe (Jude Law) in „Genius“.

© Marc Brenner/Pinewood Films

Hollywood-Duo bei Berlinale: Jude Law und Colin Firth brillieren in "Genius"

Eine fürchterlich fruchtbare Beziehung: Michael Grandage erzählt in „Genius“ furios die Geschichte des Dichters Thomas Wolfe und seines Lektors. Bekommen seine Stars einen Silbernen Bären?

Colin Firth und Jude Law, sie sind das Schauspielerpaar dieser Berlinale. Und angenommen, dass auf der Zielgeraden nicht noch eine Überraschung geschieht, dann hätte die Jury tatsächlich die Qual der Wahl – falls sie den Bären für den besten männlichen Akteur nicht beiden gibt. Denn Colin Firth als Buchlektor Max Perkins und Jude Law als der erst unbekannte, bald weltberühmte Autor Thomas Wolfe sind hier gerade in der Unterschiedlichkeit ihrer Temperamente nicht von einander zu trennen. Keiner leuchtet und kann von seinen lodernden oder sanft glimmenden Obsessionen erlöst werden ohne den anderen, nicht der Feuerteufel und nicht der Engel der Geduld.

Fast zu einfach

Eigentlich ist die Geschichte sehr einfach. Fast zu einfach. Im Jahr 1928 steht ein Mann im New Yorker Regen und blickt hinauf zur Fassade eines Hauses, an dem der Schriftzug des Verlags „Charles Scribner’s Sons“ steht. Nicht die reichste Adresse, aber für den, der im Regen steht, eine letzte Hoffnung. Es ist der 28-jährige, bisher ungedruckte Schriftsteller Thomas Wolfe.

Drinnen in seinem verrauchten Verlagskontor sitzt Mister Perkins, der Lektor, und liest. Er macht Striche und Anmerkungen in Manuskripten, das ist sein Alltag – wenngleich er ein bisschen mehr ist als nur eine graue Kanzleilesemaus. Hat er doch so schon F. Scott Fitzgerald oder Ernest Hemingway zu ihren ersten Büchern verholfen. Da haut ihm das Schicksal namens Verlagspost tausend Seiten Typoskript auf den Tisch.

Der Packen hat es in sich

Das wäre noch immer nicht furchtbar spannend. Denn natürlich ist klar, dass es dieser Packen in sich hat. Der Lektor residiert in einer Vorortvilla, neuenglischer Kolonialstil im weitläufig Grünen, mit Gattin und fünf entzückenden Töchtern. Die freilich kriegen wenig ab von Dads Aufmerksamkeit, weil Perkins bereits während der feierabendlichen Zugfahrt heraus aus Manhattan begonnen hat, sich im Sirenengesang jenes engzeilig geschriebenen Romantyposkripts mit dem nicht eben umwerfenden Titel „O Lost“ zu verlieren. Um den Autor Thomas Wolfe zu gewinnen.

„Genius“ heißt der Film, der so eher harmlos und voraussehbar seinen Anfang nimmt. Der 53-jährige Brite Michael Grandage hat als Regisseur und Intendant bisher vor allem fürs Theater gearbeitet, „Genius“ ist nun seit später Debütfilm. Dabei stützt er sich auf den kalifornischen Drehbuchprofi John Logan, der bereits für „Aviator“, Martin Scorseses „Hugo Cabret“ sowie zwei James-Bond-Filme von Sam Mendes die Scripts geliefert hat. Die Vorlage für den aktuellen Film war übrigens Scott Bergs Biografie „Max Perkins: Editor of Genius“.

Eine furiose Arie

Also nur ein weiteres filmisches Biopic, aus der Perspektive einer (scheinbaren) Nebenfigur erzählt, was in jüngerer Zeit schon Anton Corbijn in „Life“ mit dem Fotografen Dennis Stock und dem werdenden Filmstar James Dean vorgeführt hat?

Stimmt nicht so ganz. Als an Max Perkins nächstem Arbeitstag der Verfasser von „O Lost“ in sein Büro tritt, explodiert ein Vulkan. Jude Law spielt das leicht verschwitzte, verstrubbelte Junggenie nicht nur mit der heiligen Verzweiflung des bisher von allen anderen New Yorker Verlagen Abgewiesen, sondern stimmt eine furiose Arie an: auf Poesie und Leidenschaft, auf den magisch mitreißenden Strom von Worten und den Rausch der die amerikanischen Weiten und menschlichen Seelen flutenden Sätze und nicht endensollenden Absätze.

Laws alias Wolfes raumgreifende Gesten und das Stakkato seiner Sprache befeuert ein Pathos, das weniger von der großen Oper herrührt, vielmehr vom Rhythm and Swing des afroamerikanischen Jazz, und später wird er seinen intellektuell viel gefassteren, puritanischeren Lektor statt zum Familienausflug in einen Harlemer Club verführen: wo der weiße Wolfe auf die Musik und die schwarzen Girls fliegt und Perkins („Ich habe keine Beziehung zur Musik“) immerhin mal mit der Fußspitze wippt, unterm Tisch.

Natürlich wird aus „ O Lost“, von Perkins im Kampf mit dem Autor um 300 Seiten gekürzt, 1929 Wolfes Debüterfolg „Look Homeward, Angel“ („Schau heimwärts, Engel“). Die stark autobiografisch gefärbte, sprachmächtige Saga der im Südsaatenstädtchen Altamont siedelnden Familie Gant gilt seitdem als Great American Novel, wie kurz zuvor Fitzgeralds „Großer Gatsby“ oder gleich danach William Faulkners „Licht im August“.

Thomas Wolfe avanciert zum Schwarm der New Yorker Gesellschaft, und seine ihn unterstützende Geliebte Aline Bernstein (Nicole Kidman) sagt Perkins voraus, dass Wolfe auch ihn als Partner und Freund bald verlassen wird. Sie ist, ähnlich wie Perkins’ eigene Frau Louise (Laura Linney), eifersüchtig auf die beiden schier unzertrennlichen Männer. Auch die Arbeit an Wolfes zweitem Erfolgsroman „Von Zeit und Strom“, den Perkins von 5000 auf etwa 1200 Seiten bringt, lässt anderen in ihrem Leben keinen Raum mehr.

Hemingway bleibt nur eine Randfigur

Sie sind einander verbunden, nicht homosexuell, aber literaturerotisch. Doch Wolfes grenzenlose, auch den Freund und Helfer meist nur als Mittel begreifende Egomanie, sein wirbelnder, wütender, nur um sich und sein Werk strudelnder Narzissmus, trennt die beiden nicht. Und Colin Firth behält als Max nicht nur den Hut bis kurz vorm Ende auf, er hält auch mit jedem diskreten Innenblick, jedem Mundzucken dem Kotzbrocken Law/Wolfe jederzeit stand. Wie der Film diese Geschichte einer so fürchterlichen wie fruchtbaren Beziehung erzählt, ist das Ereignis. Der eine ist das Genie des Schreibens, der andere ein Genie – der Freundschaft.

Dabei bleiben die Fitzgeralds oder auch Hemingway nur Randfiguren. Auch merkt man „Genius“ die Schwierigkeiten an, so kontemplative Verrichtungen wie das Dichten, Lesen, Lektorieren filmisch anders als mit dramatisierender Musik und in Nahaufnahmen übers Papier rasender Stifte zu fassen. Aber es gibt auch schöne, genuine Einfälle. Wolfes auftrampelnde Füße, im Regen oder in Rage, korrespondieren mit dem Aufstampfen der in der Kälte Wartenden vor den Suppenküchen der Weltwirtschaftskrise – oder lassen schon ganz andere Marschtritte ahnen: wenn Hemingway vom bevorstehenden Krieg spricht in Spanien und der Welt. Während Wolfe nur den Krieg mit Worten und seinen inneren Dämonen kämpft.

17.2., 9.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), u. 15.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 20.2., 18.15 Uhr (HdBF), 21.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast)

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