Kultur: Julián, el pelvis
"Ay, ay!": Die schöne Casta sitzt beim Friseur, um sich ihre schwarze Mähne fürs große Volksfest heute Abend richten zu lassen.
"Ay, ay!": Die schöne Casta sitzt beim Friseur, um sich ihre schwarze Mähne fürs große Volksfest heute Abend richten zu lassen. Das ziept! Doch weil Casta eine echte madrileña ist, gleitet ihr Unmut über die Ungeschicklichkeit des Figaro in einen Flamenco über. Ganz nebenbei zaubert ihre Sitznachbarin ein Paar Kastagnetten unter der Frauenzeitschrift hervor, und schon tanzt, singt und feiert der ganze Salon. Dass Marina Bollain aus der spanischen Spielform der Operette, der Zarzuela, lustige Liebesgeschichten zu zaubern vermag, wusste man seit ihrem Überraschungserfolg "Adios Julián" im letzten Sommer in der Kulturbrauerei. Wer zweifelte, ob sie nun bei ihrer zweiten Zarzuela-Produktion die viel größere Hebbel-Theater-Bühne mit ebenso lockerem Leben füllen könnte, durfte sich am Donnerstag entspannt zurücklehnen: Sie kann!
In dem vierstöckigen Mietshaus, das ihr Natascha von Steiger gebaut hat, kennt jeder jeden. Und jeder kommentiert den Liebeskummer des armen Julián auf seine Weise, nämlich auf spanisch, deutsch, französisch und englisch. Die Dialoge der Lovestory um den eifersüchtigen Gasmann, dessen Freundin mit dem Apotheker flirtet, spricht jeder in seiner Heimatsprache. Orientierung im metropolitanen Sprachgewirr gibt eine Übertitelanlage, auf der auch die spanischen Originaltexte der putzigen Arietten und feurigen Gassenhauer übersetzt werden.
Eigentlich wär das gar nicht nötig. Denn erstens ist die Sprache der Liebe sowieso international, und zweitens geht es in "La Verbena de la Paloma" sowieso vor allem ums Feiern. Um jenes Volksfest nämlich, das man heute noch genauso am 14. August begeht wie bei der Uraufführung von Tomas Bretons Zarzuela 1894. Lust aufs Tanzen haben die durchweg jugendlichen Darsteller von der ersten Sekunde an, allen voran Eloi Prat i Morgades, der nicht nur leidenschaftlich von seiner gekränkten Mannesehre singt, sondern auch gefährlich in den Knien federn kann: Julián, el pelvis.
Andreas Schüller dirigiert Bretons aparte Unterhaltungsmusik mit Liebe (und fast ein wenig zuviel Delikatesse), bis im dritten Akt dann Tania Miranda und eine echte Salsa-Band das Regiment übernehmen: Dann wird abgehottet, dass dem Publikum die Füße wippen. Nach und nach verschwinden die Paare. Julián hat plötzlich doch seine Susana auf dem Schoß, träufel ihr den Saft einer Orange in den Mund. Bläulich schimmert der Mond vom Bühnenhimmel. Dann ist das Stück plötzlich zuende, ohne Liebesduett, ohne sentimentales Bombast-Finale. So wie im echten Leben.
Zu dieser Show sollte man mit all seinen Freunden gehen. Denn so lecker Marina Bollains theatralische Tapas auch schmecken, richtig satt ist man nach dem 80-Minuten-Abend nicht - da ist noch jede Menge Kraft übrig für die rauschende Privat-fiesta, hinterher in der Kneipe.