zum Hauptinhalt

Kultur: Junge, komm bald wieder

Als Sigmar Polke vor eineinhalb Jahren im "Hamburger Bahnhof" seine große Retrospektive hatte, nannte er, nach den letzten Ausstellungen befragt, Chicago, San Francisco und Los Angeles als die wichtigen Museumsorte.New York war damals (noch) nicht dabei.

Als Sigmar Polke vor eineinhalb Jahren im "Hamburger Bahnhof" seine große Retrospektive hatte, nannte er, nach den letzten Ausstellungen befragt, Chicago, San Francisco und Los Angeles als die wichtigen Museumsorte.New York war damals (noch) nicht dabei.Umso bemerkenswerter ist der Erfolg, den die soeben im New Yorker Modern Art Museum eröffnete Ausstellung "Sigmar Polke - Arbeiten auf Papier" bedeutet.Das MoMa ist noch immer die erste Adresse im Feld der zeitgenössischen Kunst.

Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von 180 Blättern aus einem Konvolut von mehr als 2000 Arbeiten, alle entstanden in den rund ersten zehn Jahren nach dem Studiumsabschluß in Düsseldorf.Ihr zeitlicher Mittelpunkt sind die 60er Jahre, der damalige Auf- und Ausbruch der westdeutschen Gesellschaft hin zu neuen, modernen politisch-gesellschaftlichen Ufern.Die Beschränkung auf Papierarbeiten meint dabei in erster Linie Zeichnungen, aber auch Aquarelle und Gouachen.Von Notiz- und Stenoblöcken abgerissene Blätter, Zeitungsbögen, einfache Schreibbögen und Reste von Packpapier bis hin zu großformatigen, malerisch voll ausgebildeten Blättern.Außerdem nicht weniger als 18 Skizzenhefte und vor allem die sensationell anmutenden 4 mal 5 Meter messenden Arbeiten aus Papierbahnen mit dem Titel "Die Fahrt auf der Unendlichkeitsacht".Zusammengeklebte und immer wieder überklebte, an vielen Stellen collagierte, teilweise abgerissene und mit Löchern versehene große Blätter, die in motivischer Hinsicht Motorradfahrer umkreisen, "überlagert" von kreisenden und schillernden, alchemistisch anmutenden wilden Farblinien.

Vor allem bei den frühen, comic-haften Arbeiten ist man zunächst versucht, an Warhol zu denken.Dies umso mehr, als beide mit Zeichnungen angefangen haben und erst später konzentriert zur Malerei übergegangen sind.Ähnlich wie dort das kurze, strichhafte Umreißen von Figuren und Szenen und der souveräne Umgang mit Buntstift wie farbigem Pinsel.Und ähnlich wie bei Warhol die Nähe zum Comic und die ebenso frischen wie frechen Sprechblasen, Spots und Sprüche ("Jedem seine Palme", "Junge komm bald wieder", "Mona Lisa now only...for 99 cents").Doch wenngleich beide von der Profanisierung, vom Warencharakter aller Dinge ausgingen und Polke zudem, parallel zur Popart, das Rasterbild entdeckt, "erfunden", hat, ist doch offenkundig, daß Warhol aus der Werbung kam.Seinen Figuren haften stets die Kennzeichen von Mode und Design an, während Polkes Ansatz zutiefst gesellschaftspolitischer Natur ist.Das ist Kritik an der Umgebung, beißendes Bloßstellen unserer Aller-Welt-Träume, unserer 08-15-Vorstellungen, unserer Spießigkeiten.

Daher nicht etwa wie bei Warhol Models oder ähnlich ausgestellte, "feine" Figuren, sondern Otto Normalverbraucher, der kleinen Mann ("Kartoffelköpfe", Figuren, die an die Comic-Serie "Tim und Struppi" erinnern).Polkes Bilder zeigen denn auch des kleinen Manns "Ikonen" der Wohlstandsgesellschaft - die Südsee-Palme, der Bungalow, Kitsch-Landschaften - wobei Polke zwar vielfach den Clown spielt, sich naiv-unschuldig gibt, indes höchst ernsthaft und entschieden Partei ergreift.Bei aller vermeintlichen Leichtigkeit und Ironie, das ist Attacke gegen alles Konventionelle, Spiegelung der Gesellschaft, böse-boshafte Kritik an deren Hohlheiten.

Das amerikanische Publikum ist über diese Bilder, so lassen die ersten Reaktionen erkennen, in hohem Maße erstaunt.Ein deutscher Künstler, der nicht tiefgründig-bohrend den Mythen der deutschen Seele nachgeht, sondern einer mit unbändiger, sprühend-frecher Phantasie.Und vor allem einer voller Humor und Ironie.Polke, das machen diese frühen Arbeiten deutlich, verblüfft die Betrachter durch die Komplexität seiner Themen sowie durch den permanenten Wechsel der Stile und Formen.

Man weiß in New York, daß die so elementar amerikanische Kunstbewegung der Pop-Kunst in erster Linie in Deutschland den Durchbruch fand.Ihre internationale Anerkennung erhielt sie damals entscheidend durch die Galerien, Museen und Sammlungen am Rhein.Daß Polkes Arbeiten ein ähnliches oder sogar paralleles Phänomen hochrangiger internationaler Kunst der 60er Jahre verkörpern, dies freilich löst in dem Land, welches die Pop-Kunst hervorgebracht hat, Überraschung aus.Die ersten Reaktionen reichen denn auch von verblüfftem Erstaunen bis hin zu Ausdrücken der Begeisterung, des Bewunderns.

Schon die Polke-Retrospektive 1998, damals von der (deutschen) Kritik als "beste Kunst-Ausstellung des Jahres" ausgezeichnet, sprengte den Rahmen der gemeinhin zu erlangenden Erfolge.Ob die New Yorker Präsentation - mit übrigens gleichfalls vortrefflicher Bilderauswahl und Hängung - ebensolche Meriten erlangen kann, mag dahinstehen.Ein großer künstlerischer Erfolg scheint ihr jedenfalls gewiß.

Museum of Modern Art New York, bis 16.6.Die Ausstellung wird vom 16.7.bis 17.10.in der Kunsthalle Hamburg gezeigt.

INGO FESSMANN

Zur Startseite