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Macht und Marmor. Dieser Nero-Kopf entstand zwischen 64 und 68 nach Christus.

© dpa

Nero-Ausstellung in Trier: Kaiser Nero sah aus wie Peter Ustinov

Der Mythos vom Schurken: Heute erinnert man sich an Nero vor allem in Gestalt von Peter Ustinov. In Trier rehabilitiert eine große Ausstellung den antiken Kaiser.

Der Tyrann trägt ein lilafarbenes Gewand, sein Haupt wird von einer zierlichen Krone geschmückt. Er greift zur Lyra und singt mit knatternder Stimme: „Oh Flammen, verzehrt es!“ Im Hintergrund brennt Rom. So stellen wir uns heute Nero vor: als Peter Ustinov, der im Hollywood-Sandalenfilm „Quo Vadis“ den Untergang seiner eigenen Stadt mit schauerlich-schönem Vibrato feiert. Ein irrer Möchtegernkünstler. Doch der echte Nero (37– 68 nach Christus) war nicht wirklich verrückt, er hat Rom nicht anzünden lassen, und er muss ein durchaus passabler Sänger und Schauspieler gewesen sein. Aber er sah so aus wie Peter Ustinov.

Jedenfalls ein bisschen. Ein Marmorkopf, entstanden 64 – 68 n. Chr., zeigt den Herrscher mit kraftvollem Gesicht und Wellenfrisur, bei der jede Locke kunstvoll symmetrisch arrangiert wurde. Nur der Zehntagebart fehlt, den Ustinov im Film trägt. Zu sehen ist die Skulptur im Rheinischen Landesmuseum Trier, einem von drei Austragungsorten der Ausstellung, die Nero als „Kaiser, Künstler und Tyrann“ präsentiert.

Es ist die bislang umfassendste museale Würdigung des letzten Kaisers aus dem Geschlecht des Augustus. Dabei konzentriert sich das Landesmuseum mit der Hauptausstellung auf das Leben und die Zeit Neros, mit Leihgaben aus mehr als 90 internationalen Institutionen. Das Museum am Dom zeigt sein Nachleben in der Kunst, vor allem in der mittelalterlichen Malerei, als der Christenverfolger zum Gottseibeiuns stilisiert wurde. Und das Stadtmuseum Simeonstift macht aus Nero einen Hero, feiert ihn als antiken Popstar einer neuzeitlichen Unterhaltungsindustrie.

Lüstling, Paranoiker, Mörder

Im Auftaktraum gruppieren sich Plakate von Filmen wie „Nero und die Huren des Römischen Reiches“ oder „Quo Vadis – The Sign of the Cross“ um den gleichnamigen Bestseller des polnischen Romanciers Henryk Sienkiewicz von 1901, Nero-Krawattennadeln und -Brettspiele. Nero gilt als Lüstling, Paranoiker, Mörder, Dilettant oder Visionär, in der Galerie der größten Schurken der Weltgeschichte rangiert er irgendwo zwischen Attila und Dschingis Khan.

Die Ausstellung sucht die Wirklichkeit hinter dem Mythos, zertrümmert den Mythos aber nicht, sondern erzählt ihn noch einmal neu. „Je weiter man sich von Nero entfernt, desto schlechter wird er“, sagt Landesmuseumsdirektor Marcus Reuter. Kommt man ihm aber näher, blickt zurück in seine Ära, wird klar: Er war ein durchschnittlicher Kaiser, nicht besser oder schlechter als die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger.

Begrüßt wird der Besucher im Landesmuseum von einer Statue des 13- oder 14-jährigen Nero. Ein Amulett um seinen Hals zeigt, dass er noch nicht volljährig ist, in einer Hand hält er eine Schriftrolle, Ausweis von Gelehrtheit. Seneca war sein Lehrer, aber mit 17 Jahren zum Kaiser aufsteigen konnte Nero nur, weil seine Mutter Agrippina den Vorgänger Claudius heiratete, ihren Onkel. Sie sorgte dafür, dass Claudius Nero adoptierte und Britannicus, der Sohn von Claudius, in der Thronfolge ausschied. Verwickelte dynastische Beziehungen, heute würde man von einer dysfunktionalen Familie sprechen.

Wie schnell der junge Kaiser sich von der Mutter emanzipierte, belegen die Münzen, die nach der Inthronisierung geprägt wurden. Auf ihnen sind Nero und Agrippina zunächst in gleicher Größe abgebildet, sie schauen einander an, dann rückt die Mutter in den Hintergrund, bald ist sie ganz verschwunden. 59 n. Chr., fünf Jahre nach Beginn seines Prinzipats, lässt Nero Agrippina ermorden. Er glaubt, dass sie eine Verschwörung gegen ihn anführt. Der geplante Tod bei einem fingierten Schiffsunglück scheitert, weil Agrippina eine gute Schwimmerin ist.

Köpfe rollen wie bei Shakespeare

Nero schickt Schergen hinter ihr her, die sie mit dem Schwert töten. Ihre letzten Worte sollen gelautet habe: „Stoße deine Klinge in den Leib, der Nero geboren hat“. Seneca stirbt durch einen von Nero befohlenen Selbstmord. Britannicus kommt bei einem Festbankett um, angeblich vergiftet. Die Köpfe rollen wie bei Shakespeare. Aber Nero wird genauso elendig sterben, 68 auf der Flucht vor aufständischen Legionen mit keinem anderem Ausweg als dem Selbstmord. „Welch ein Künstler geht mit mir verloren!“, klagt er angeblich noch.

Nero wollte ein Künstler sein, kein Kriegsherr. In den 13 Jahren seiner Regierung führte Rom keine Feldzüge, das brachte die Generalität gegen ihn auf. Er spielte neben der Kythera, einer griechischen Leier, auch die Wasserorgel, ein Instrument, bei dem der Luftdruck der Pfeifen durch Wasser erzeugt wird. Ein Exemplar ist in Trier zu sehen, die eingespielten Töne klingen fremd und sphärisch. Auch auf dem Theater ist Nero aufgetreten, meist in Neapel. Die dabei verwendeten Masken erinnern an die Commedia dell’arte. Ein Kaiser, der in der Öffentlichkeit Verse aufsagt und singt, das war ein Tabubruch. Das römische Establishment hat ihn dafür verachtet, das einfache Volk soll ihn geliebt haben.

Neros wichtigste Staatsreise ist ein Kulturtrip. Im Jahr 66 bricht er mit einem mehrtausendköpfigen Tross für anderthalb Jahre nach Griechenland auf. Er nimmt an Wettbewerben teil, sportlichen wie darstellerischen, und kehrt mit 1808 Siegeskränzen nach Hause zurück. Verlieren wollte keiner gegen diesen Staatsgast. Der Historiker Sueton berichtet, dass Nero die Schiedsrichter mit Drohungen manipuliert habe: „Sie als Männer von Geschmack und Bildung hätten die Pflicht, alles Zufällige auszuschließen.“ In Korinth schenkt Nero Griechenland die Freiheit, die Griechen sind von nun an nicht mehr tributpflichtig. Auch das ist unerhört.

In der Nacht vom 18. zum 19. Juli 64 bricht im Circus Maximus ein Feuer aus, das sich zum schlimmsten Brand entwickelt, der Rom bis dahin heimgesucht hat. „Sechs Tage und Nächte hindurch wütete die Feuersbrunst; dem Volk blieb nichts anderes übrig, als in Grabdenkmälern Zuflucht zu suchen“, schreibt Sueton. Während viele antike Autoren posthum Nero die Schuld an der Zerstörung der Stadt gaben, die zwischen 80 000 und 1200 00 Einwohner zählt, gehen die meisten Archäologen und Historiker heute davon aus, dass er Rom nicht in Flammen setzen ließ. Nero hielt sich, als der Brand begann, in Antium auf, dem heutigen Anzio, eilte aber sofort nach Rom, kümmerte sich um die Rettungsarbeiten und öffnete seine Gärten für obdachlos gewordene Bürger.

Eine neue Residenz auf den Trümmern

Grotesk verbogene Eisengitter und halb geschmolzene Bronzegefäße, in denen Bauarbeiter noch kurz vorher Mörtel angerührt hatten, zeugen von der Katastrophe. Als Bauherr hatte Nero gewaltige Pläne. Auf den Trümmern seiner abgebrannten Metropole ließ er eine neue Residenz errichten, das Domus Aurea. Schon der Name steht für ein neues Selbstbewusstsein: domus-urbs, ein „Haus, das Stadt ist“. Das Areal in bester Lage umfasste 80 Hektar. Die Ausstellung hat den achteckigen Speisesaal rekonstruiert, mitsamt einer sich drehenden Kuppel, die das Himmelsgewölbe abbildet, und herabfallenden Blütenblättern. Neben dem Palast stand eine 30 Meter hohe Skulptur des Kaisers. Der Koloss gab dem angrenzenden Kolosseum den Namen. So bleibt Nero in Erinnerung: überlebensgroß, furchteinflößend.

Trier, „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“, bis 16. Oktober. Katalog 39,95 Euro. Infos: www.nero-ausstellung.de

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