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Kultur: Kalte Mauern

Auftakt: Brandenburgische Sommerkonzerte.

Der Einzug des Sommers, wie ihn Gustav Mahler zum Auftakt seiner 3. Symphonie in Klang ballt, ist kein liebliches Lüftchen. Zwischen schon warmer, belebter Natur und noch kalter Materie tun sich Schatten auf, in denen der Schrecken lauert. Ein herausforderndes Werk, mit dem die Brandenburgischen Sommerkonzerte in Luckau ihre 22. Saison einläuten – auf den Tag genau 110 Jahre nach der Uraufführung der Dritten unter Leitung ihres Schöpfers. Eine dunkle Wolke, die an diesem Nachmittag über dem Tor zur Niederlausitz hängt, kann der Dramaturgie der musikalischen Landnahme nichts anhaben: Die Kaffeetafel im ehemaligen Klosterhof ist gerichtet, Haxen brutzeln, Stadtführer schwärmen aus zum Stadtgraben. Bei einer Besichtigung der heutigen Kulturkirche tritt man aus der Sonne in dunkle Zellen. Einst als Kloster mitten in die Stadt erreichtet, wurden aus den Mönchszellen für über 250 Jahre Gefängnisse, bis 2005. Auch Karl Liebknecht und Adolf Grimme saßen hier. Ein Schrecken lauert in diesen dicken, kalten Mauern – beinahe wie von Mahler komponiert.

250 Mitwirkende auf 600 Zuhörer: Allein wie die Musiker in den Altarraum gezirkelt und die Chöre auf die Emporen über den Patrizierlogen der Nikolaikirche eingepasst werden, ist beeindruckend. Ewan Christ und sein Philharmonisches Orchester des Staatstheaters Cottbus stehen dieser logistischen Leistung in nichts nach. Die Schläge des Kopfsatzes lassen das Taufbecken erbeben, und immer wieder wagt der nimmermüde Dirigent Zärtlichkeiten inmitten dieser gewaltigen Weltwerdung aus Klang. Das Posthorn weht von ganz weit oben über die Zuhörer, unter ihnen auch Sir Roger Norrington. Zum Abendliedersingen findet man sich nochmals im Klosterhof ein, jetzt mit geschärftem Blick für die vergitterten Fenster. Hinter einigen residiert heute das Stadtarchiv, hinter anderen das Museum für Satire und Humor. Im Liederheftchen finden sich auch die Strophen von „Die Gedanken sind frei“. Gewünscht werden sie nicht, und der Vorsänger an der Gitarre beschließt den Abend mit Reinhard Meys „Gute Nacht, Freunde“. In wärmende Pullover gehüllt, unter einem leuchtenden Abendhimmel, klingt die erste Landpartie der diesjährigen Brandenburgischen Sommerkonzerte aus. Ulrich Amling

noch bis 9.9., Infos: www.brandenburgische-sommerkonzerte.de

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