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Tuyas Hochzeit

© ddp

Tuyas Hochzeit: Ein Kuss für immer

Der gefeierte Berlinale-Sieger „Tuyas Hochzeit“ kommt in die deutschen Kinos. Eine Begegnung mit Hauptdarstellerin Yu Nan.

Unvergesslich, der Augenblick. Nach der Publikumsvorführung auf der Berlinale, nach dem Riesenapplaus, die Zuschauer sind noch ganz glücksbenommen von der klaren, schönen, seltsamen, traurigen Geschichte in der entlegenen mongolischen Steppenwelt, in deren kahlen Faltengebirgen am Horizont das Licht so unvergleichlich nistet, nach dem Applaus also steht das Team auf der Bühne. Regisseur Wang Quan’an: ein kluger Mann aus der Großstadt, der bewegend und mit präziser Nüchternheit zugleich von der untergehenden Welt der Nomaden berichtet. Kameramann Lutz Reitemeier und sein heiterer, warmherziger Blick zurück auf die Dreharbeiten. Und Hauptdarstellerin Yu Nan: eine strahlende, schmale Erscheinung in festlichem Schwarz. Das ist Tuya? Das ist Tuya.

Die Tuya, die wir gerade auf der Leinwand gesehen haben: eine junge Frau, genauer: das – schöne – Gesicht einer jungen Frau, immer trägt sie verwaschene oder auch bloß sonnengebleichte Tücher überm Haar und bis über die Stirn, mal rosa, mal türkis, mal blau. Der Körper steckt in gewaltigen, deckenartigen Gewändern aus grobem Stoff, die Füße in klobigen Filzschuhen, großes Vermummungsgebot das alles gegen die Kälte. Tuya ist mit dem alten Bater verheiratet, mit dem sie zwei Kinder hat, Bater aber ist ein Krüppel seit seinem Unfall beim Brunnenbauen, und Tuya muss sich um alles allein kümmern, die Schafe, das Heu, Kochen und Kinder, nein, um die Kinder kümmert sich der gute Bater ein bisschen mit. Erst spät, nach einer kurzen, bedeutsamen Szene vorm Spiegel, wird Tuya das Kopftuch ein bisschen lockern und anders binden, und dann wird es eine Art Kuss geben, nicht mit Bater, wobei die Lippen sich nicht berühren: Zwei Menschen neigen die Köpfe sachte einander entgegen, ein Anlehnen vorsichtig gegeneinander mit der Stirn, eine Liebesszene für immer.

Yu Nan ist Tuya: Sportklamotten, Basecap, die einzige Profi-Schauspielerin im „Tuyas Hochzeit“-Team damals, eine moderne Chinesin aus Peking. Nimm die Lippen als Beweis, den ruhigen Blick, die warme Stimme: Yu Nan ist Tuya. Wir sind ein halbes Jahr weiter, Yu Nan dreht gerade in Babelsberg „Speed Racer“ mit den Wachowski-Brüdern, sie spielt die Schwester eines Rennfahrers, zwei Monate in Berlin – so ein weiter Weg von Tuya, die krank wird und sich einen neuen Ehemann als Versorger suchen muss und den alten nicht verstoßen will in ihrer Jurtenwelt der Mongolei, bis zum kommerziellen Digitalspieluniversum mit einem Super-Hero-Auto namens „Mach 5“. Aber egal. Herausforderung ist alles für Yu Nan, das Ewigneue, das Nichtlangweilige. Und außerdem ist sie, behaupten wir das mal ungestraft und unbestrafbar, die Gong Li von morgen oder spätestens übermorgen.

Bater spielt Bater in „Tuyas Hochzeit“, später kommt Baolier hinzu, der aussichtsreichste Aspirant auf den Posten des Bräutigams, der aber bitte auch Bater aufnehmen möge in den neuen Haushalt mit Tuya, und Baolier spielt Baolier, das Kind Zhaya spielt das Kind Zhaya und so fort, alle mongolischen Schauspieler sind Laien. „Sie sind echt“, sagt Yu Nan. „Sie sind sehr gut. Sie spielen sich selbst. Ich aber musste sie spielen.“ Also wurde Yu Nan in drei Monaten zur Mongolin: lebte in der riesigen Inneren Mongolei im Norden Chinas, wo sie vorher noch nie war, obwohl diese Welt nur 200 Kilometer von Peking entfernt liegt, einmal übers Gebirge, dreimal so groß wie Deutschland und dreimal dünner besiedelt, lebte in einer Familie, lernte reiten, lernte sich zu bewegen wie die Leute, lernte alles. Nie wären wir drauf gekommen, dass nicht Tuya Tuya spielt, dass Yu Nan von sehr anderswoher kommt. Kein Wunder: „Ich wollte, ich musste, ich wollte eine von ihnen sein.“

Tuya ist eine starke Frau. Mal leise (schönes Stillleben mit der Schöpfkelle), mal sehr laut, ein einziger Vorwurf (als Bater sich die Pulsadern aufschneidet, aber alles geht noch einmal gut). Sie beugt sich der Not, in die die Familie geraten ist, aber stellt dann ihre Bedingungen aus einer Liebe, die mit Verantwortung fast übereinstimmt, mit Fürsorge auch. Das Wort Selbstbestimmungsrecht hat Tuya sicher noch nie gehört, dafür setzt sie es um. Bedrängende Männer beschämt sie: mit Vernunft. Selbstmitleid lässt sie nicht gelten. Verwahrlosung lässt sie nicht zu. Vereinbarungen mögen andere brechen, nicht sie. „Wenn eine Mongolin einen Mann mag, dann sieht sie ihm unmittelbar in die Augen“, sagt Yu Nan, „das geht nicht so Schrittchen für Schrittchen wie bei uns.“

Auch sie selber ist eine Ungebärdige gewesen, damals in der Pekinger Filmakademie, wohin sie durchgebrannt ist mit siebzehn aus der Küstenstadt Dalian, weg von den Elternwünschen namens Sprachschule und nachher vielleicht Dolmetscherin. Und wo sie angenommen wurde als eine von 15 unter 10 000 Bewerbern jedes Jahr. Wang Quan’an, ihren Entdecker, hat sie dort durch einen großartigen Zufall kennengelernt. Sie stritt lautstark mit dem Lehrer, als Einzige aufgestanden von ihrem Stuhl – und Wang, auf Schauspielersuche für seinen Erstling, sah sie flüchtig durchs Fenster und ging in den Klassenraum. Suchen sie anderswo, sagte der Lehrer, diese Klasse ist schwierig. Und wer ist der Schwierigste? Die da: Der Lehrer zeigte auf Yu Nan. Das trifft sich, sagte Wang, solche Leute kann ich brauchen. Und gab ihr Drehbuch und Telefonnummer.

Tuya setzt sich durch, bis zum herzzerreißend seelenmondfinsteren Happy End. Es gibt ein Fest in der Jurte, es wird getrunken, wie überhaupt viel getrunken wird in diesem Film gegen die Kälte und die Stille und die Weite wohl auch, und Sen’ge ist Sen’ge, und Bater ist immer noch Bater. Ein paar Wochen vor der Berlinale, Yu Nan war längst mit drei anderen Filmen beschäftigt, sah sie „Tuyas Hochzeit“ zum ersten Mal ganz. „Wow, das bin ja ich!“, dachte sie, als sie das Mädchengesicht in den Kaftanen und Kopftüchern sah, reitend auf Pferd und Trampeltier, mal in der Enge der Jurte und mal draußen bei der schafwollenen Herde, die die Leinwand überflutet ganz allein. Wow, ja, das ist sie, solange dieser ferne Traum dauert: Tuya.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmkunst 66. FT Friedrichshain, Kulturbrauerei; OmU: fsk und Hackesche Höfe

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