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Dokumentarfilm: Ex und hopp

„La vida loca“ – Christian Povedas erschütternder Dokumentarfilm über Jugendgangs in El Salvador.

Wer die Gefahr sucht, wird sie finden. Christian Poveda (eigentlich Christian Gregorio Poveda Ruiz), 1955 als Sohn spanischer Emigranten in Algier geboren, reiste zuerst als Fotoreporter, dann als Autor von Videodokumentationen immer wieder in gefährliche Weltzonen. Er hat die US-Invasion in Grenada, die Diktatur Pinochets und das Ende der argentinischen Militärdiktatur im Bild festgehalten. 1980 kam Poveda erstmals in das noch bis 1992 von einem Bürgerkrieg erschütterte El Salvador. Nach einem aufsehenerregenden Film über Europas extreme Rechte, „Voyage au bout de la droite“ (1998) kehrte er 2004 in das arme mittelamerikanische Land am Pazifik zurück, um den mörderischen Alltag einer Jugendgang in der Hauptstadt San Salvador darzustellen.

Der Verleihuntertitel „Die Todesgang“ trifft die Absicht des Regisseurs nicht ganz. „La vida loca“ (Das verrückte Leben) zeigt, wie etwa 50 Mitglieder der in ganz Mittelamerika verbreiteten MafiaGang „18“ täglich das Spiel mit dem Tod betreiben. Sie wollen töten und sie werden getötet – von ihren Todfeinden der „Mara Salvatrucha“-Bande, die nebenan im Elendsviertel wohnt, und von der Polizei. Politische Ziele verfolgen beide Gangs nicht. Eher treibt sie der Zorn auf das „normale“ Leben.

Vier Jahre hat Poveda mit der „18“ verbracht. Vor den harten, meist kurzen Szenen stockt der Atem, auch wenn nie eine Mordaktion ins Bild kommt. Distanz liebte Poveda nicht. Seine Kamera rückt dicht an die von Kopf bis Fuß tätowierten jungen Männer und Frauen, die von Projektilen aufgerissenen Wunden. Sie dokumentiert das Lachen bei einer Siegesfeier und das verächtliche Lächeln im Gerichtssaal. Bei einzelnen Gestalten wie „El Moreno“ (Der Braune) oder „Little Crazy“, inzwischen alle inhaftiert, ist auch etwas über ihre Familienverhältnisse zu erfahren, und doch bleiben alle exotische Figuren. Wollte Poveda lieber keine Fragen stellen?

Die „18“, die sich wie ihre kriminelle Konkurrenz ursprünglich aus US-ausgewiesenen Salvadorianern rekrutierte, hat ihm den Respekt schlecht vergolten. Im September 2009, als „La vida loca“ bereits auf europäischen Festivals lief, hat einer von ihnen, wird dringend vermutet, den Regisseur mit vier Kopfschüssen getötet. Poveda starb nach der Logik der Gangs: Töten, um zu leben. Töten, um den Hass los zu werden. Es ist, als hätte sich diese moderne Räuberbande Camus oder Dostojewski als geistige Paten erwählt, wäre aber nie über den Anfang von „Der Fremde“ und „Raskolnikow“ hinausgekommen. Doch sie nehmen niemals ein Buch in die Hand, und einige sind wohl sogar Analphabeten. Sie handeln.

Central und Eiszeit (beide OmU)

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