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Neu auf DVD: Zwischen Halbwelt und Idylle

Die Tagesspiegel-Kulturredaktion empfiehlt neue DVDs.

Tödliche Befehle aus dem All: Dieser bewusst irreführende Titel wurde dem spanischen Film Ein Kind zu töten ... von Narciso Ibáñez Serrador für eine geschnittete, deutsche Video-Fassung verpasst. Schöne, heile Welt, wenn das Grauen nur Science-Fiction ist! Dank einer wunderbaren DVD-Veröffentlichung des Labels Bildstörung (mit Soundtrack-CD und lesenswertem Booklet) kann man dieses Meisterwerk des Horrorfilms von 1976 jetzt in seiner ursprünglichen Form wiederentdecken. Ein englisches Pärchen sucht die Idylle, noch einmal Urlaub machen auf einer abgelegenen spanischen Insel, bevor sein Kind zur Welt kommt. Bei der Ankunft spielen ein paar Kinder am Hafen des malerischen Fischerdorfes. Doch langsam wie die Sommerhitze am Morgen kriecht der Schrecken in den Film. Es sind keine Erwachsenen zu sehen, eine erste Leiche taucht auf und dann langsam die unglaubliche Erkenntnis: Das Böse, das sind die Kinder. Die lichtdurchfluteten Bilder von José Luis Alcaine geben dem Film eine unaufgeregte, trügerische Atmosphäre. Doch dann zieht die Spannung langsam an und irgendwann erstarrt man vor Schreck, weil man das perlende Kinderlachen bereits aus der ehemals fehlenden Eingangsmontage kennt, auf die der Film in seiner Tonspur Bezug nimmt. Sieben Minuten lang zeigen drastische Bilder, dass es Kinder waren, die unter den Kriegen des 20. Jahrhunderts besonders zu leiden hatten, Kriegen von Erwachsenen, gegen die sie jetzt blutig revoltieren.

Einer psychologischen Erklärung verwehrt sich Roland Klick in seinem ersten Film Bübchen (Edition Debütfilme, Filmgalerie 451/Filmmagazin Schnitt) von 1968, der von der Tötung eines einjährigen Mädchens durch ihren Bruder erzählt. Vor grauen Wänden, in beengenden Kadrierungen fristet hier eine Familie ihr Dasein. Man lacht nur, wenn man besoffen ist, und gerne über anzügliche Witze. Ansonsten wird in den Suppenteller gestarrt beim sogenannten gemeinsamen Essen. An einem Samstagnachmittag passiert das Unerhörte, vielleicht aus kindlicher Dummheit. Umso erschreckender ist die kalte Präzision, mit der der Junge die Leiche seiner Schwester verschwinden lässt. Roland Klick seziert in einem dokumentarischen Duktus, der freilich perfekt inszeniert ist, eine erstickend biedere Kleinbürgerwelt, in der niemand weiß, wie man mit dem anderen umgeht. Ein Zustand der totalen Ignoranz, ein emotionales Gefängnis, das Monster hervorbringt. Die bürgerliche Familie ist die Keimzelle des Bösen und am Ende wird wieder in der Suppe gerührt.

Einen Ort, an dem sie glücklich werden können, suchen die Polen Jerzy und Ewa in Michael Kliers Schwarz-Weiß-Film Überall ist es besser wo wir nicht sind von 1989, ebenfalls in der Edition Debütfilme. Der Film beginnt in Warschau, spielt dann in Berlin und endet in New York. Doch die Städte sehen in diesem Film alle gleich aus. Mit miesen Jobs halten sich die beiden über Wasser, in der Halbwelt, im sozialen Nirgendwo. Überall sind sie fremd, wollen doch nur, unabhängig voneinander, ankommen und landen immer nur in der Peripherie. Der Film erzählt nur, dass etwas passiert ist, selten das Wie, in spröden, traurigen Bildern. Diese inhaltlichen Auslassungen lassen Raum für das, was den Film so großartig macht: das eigene Denken und Fühlen. Trotz aller Melancholie hat der Film etwas Märchenhaftes. Ewa und Jerzy laufen sich gegen alle Wahrscheinlichkeit immer wieder über den Weg, und für kurze Zeit ist das Glück dann tatsächlich mit ihnen am gleichen Ort. 

Karl Hafner

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