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Kommunikation mit dem Publikum ist für Alexander Steinbeis Chefsache.

© Christian Löffler

Klassikfestival "Kissinger Sommer": Kur in Moll und Dur

Näher ran ans Publikum: Alexander Steinbeis will als neuer Intendant des "Kissinger Sommers" das Festival zugänglicher machen - ohne die Inhalte zu verflachen.

Sie sind extra aus dem Baltikum angereist, wo sie gerade die Fortsetzung der RTL-Serie „Sisi“ drehen. Dominique Davenport und Jannik Schümann spielen darin die österreichische Kaiserin und ihren „Kleinen“, wie sich Franz Joseph I. in seinen Briefen selbst nennt. Jetzt sitzen sie auf der Bühne des Max-Littmann-Saals und lesen aus der Korrespondenz des berühmten Liebespaares.

Das Programm des „Kissinger Sommers“ dreht sich diesmal um den k. u. k. Kulturraum, „Wien – Budapest – Prag – Bad Kissingen“ lautet das Motto. Das Kurstädtchen hat in seinen Glanzzeiten die Kranken und Reichen aus ganz Europa angezogen, Sisi war sechsmal zu Gast, Bismarck kam regelmäßig, Adel, Großbürgertum, aber auch Künstler wie Rossini, Fontane, Max Liebermann, Richard Strauss.

Heutzutage ist die Klientel nicht mehr so mondän, dafür kommen die großen Namen der Klassik zum sommerlichen Festival. An diesem Abend spielen die Wiener Symphoniker. Anschließend tritt Intendant Alexander Steinbeis auf die Bühne und lädt zur Lesung von Dominique Davenport und Jannik Schümann ein, die es als Dreingabe gibt.

Dennoch verlässt gut die Hälfte der Zuschauer den Saal. Vielleicht sind sie satt nach dem schwergewichtigen Programm mit deutscher Romantik, vielleicht ist es ihnen zu spät – in Kissingen wird zeitig zu Bett gegangen, selbst die Dönerläden schließen um 21 Uhr. Vielleicht sagen ihnen die Namen der RTL-Serienstars aber auch nichts.

Dabei hatten die „Sisi“-Folgen bei ihrer Ausstrahlung im Dezember 2021 jeweils bis zu 2,5 Millionen Zuschauer:innen. Hätte die Intendant die Lesung als eigene Veranstaltung angesetzt und Werbung gemacht, an den Oberschulen der Region und in den sozialen Medien, die jungen Leute, auf die gerade die Klassikveranstalter sehnsüchtig blicken, hätten ihm vermutlich die Bude eingerannt.

Der große Konzertsaal ist nach seinem Architekten Max Littmann benannt.
Der große Konzertsaal ist nach seinem Architekten Max Littmann benannt.

© Bayer. Staatsbad Bad Kissingen GmbH

Steinbeis will den 1986 gegründeten „Kissinger Sommer“ modernisieren. Und er will näher ran ans Publikum. Aber ohne sich anzubiedern, ohne Abstriche bei der Ernsthaftigkeit der Inhalte. Seine Konzerte sind traditionell konzipiert, für Besucher:innen, die sich auf die Werke und Interpreten einlassen. Und diese Gäste kommen ja auch. Die niederländischen Pianisten Lucas und Arthur Jussen spielen bei ihrem Auftritt nach Mozart, Schubert und Mendelssohn auch Igor Strawinskys Skandalballett „Le Sacre du printemps“, in der aberwitzig schweren Fassung für zwei Klaviere, die so radikal modern klingt, als sei das Werk nicht 1913 komponiert, sondern gestern. Anschließend wendet sich Lucas an den Saal und bedankt sich die Konzentriertheit des Publikums. Das sei auf beglückende Weise beim Spielen zu spüren gewesen.

Der Pianist bedankt sich für die Konzentration, die im Publikum herrscht

Solche Gäste empfängt Alexander Steinbeis gerne in Kissingen, aber der ehemalige Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin will weitere Zielgruppen gewinnen. Denen macht er kostenlose Schnupperangebote, wie die Gesprächsreihe „Auf einen Kaffee mit …!“, die er selbst moderiert. Kommunikation als Chefsache also. Es sind keine Massen, die am Vormittag nach dem Gastspiel der Tschechischen Philharmonie zum Talk mit deren jungem Dirigenten Petr Popelka kommen, aber jene, die im Weißen Saal des Regentenbaus sitzen, sind neugierig und stellen Fragen.

Eine andere Neuheit, die Steinbeis eingeführt hat, sind die kostenlosen Prélude-Konzerte. Sie finden an wechselnden Orten statt, unter freiem Himmel, um möglichst viele Zufallszuhörer zu erreichen. Stoisch spielen die Profis aus Prag bei ihrem nachmittäglichen Auftritt vor der Spielbank gegen hartnäckiges Glockengeläut an und die Popmusik-Geräuschkulisse der nahen „Strandbad“-Bar am Saale-Ufer. Dennoch bleiben viele stehen und hören eine Zeit lang zu.

Tags darauf, beim Prélude der Wiener Symphoniker auf dem Altenberg, haben sogar 70 Interessierte den steilen Aufstieg zum Sisi-Denkmal nicht gescheut. Die Kaiserin liebte es – zum Entsetzen ihrer Entourage –, den Kurpark zu verlassen, um hier hinaufzusteigen. Der Blick über die Stadt und die liebliche Landschaft Unterfrankens am südöstlichen Rand der Rhön ist eine echte Belohnung.

Konzertbesucher:innen am Eingang des Littmann-Saals
Konzertbesucher:innen am Eingang des Littmann-Saals

© JMT/Kissinger Sommer

Der größte Trumpf beim Werben um Kulturtouristen aber ist architektonischer Art. Die Kolonnaden im Stil der Neorenaissance, die hier selbst an grauen Tagen für italienisches Flair sorgen, stammen aus den 1830er Jahren, das elegante Ensemble, wie es sich heute präsentiert, schuf Max Littmann dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er hatte sich gerade in München mit dem Prinzregententheater erste Meriten erworben, als er 1904 den Auftrag erhielt, für Bad Kissingen eine Bühne zu errichten. Sein Kurtheater hat die Zeitläufte unbeschadet überstanden, begeistert vor allem im Innern durch die stoffbespannten Wände mit dem silbernen Jugendstilmuster auf grünem Grund und das Deckengemälde mit den „Kranichen des Ibykus“.

Littmann hat den Bühnenbau in Deutschland geprägt wie kaum ein anderer, das Stuttgarter Opernhaus stammt von ihm, demokratisch gedachte, logenfreie Musentempel in Weimar, Posen, Hildesheim, Neustrelitz sowie das erste, im Krieg zerstörte Schillertheater in Charlottenburg. Für die 22 000-Einwohner-Gemeinde Kissingen hat er zwei Konzertsäle geschaffen, um die den Kurort selbst Metropolen beneiden können. Aus dem alten Konversationssaal machte er einen mit 340 Plätzen idealen Ort für Kammermusik, nachdem seine 2640 Quadratmeter große Wandelhalle 1911 eröffnet worden war, eine lichtdurchflutete Basilika für Heilwassertrinker:innen.

In diesem Saal fühlen sich die Orchester wohl

1913 kam der 1160-Plätze-Saal für Orchesterkonzerte dazu, außen und in den Foyers eklektizistisch mit barocken Formen spielend, im Innern vollständig ausgekleidet in Kirschholz, von der Kassettendecke über die mit feinen Ebenholzintarsien geschmückten Wände bis hin zum knarrenden Parkettboden. Ungewöhnlich ist die halbrunde Bühne, exquisit sind die Kronleuchter, die aussehen wie für Charleston-Tänzerinnen geschaffen, mit ihren vielen Kristallketten und farbigen Glasfransen.

Der nach Littmann benannte Saal ist einer, „der von selbst klingt“, wie die Sängerin Waltraud Meier schwärmt. Sehr präsent ist die Akustik, sie springt das Publikum geradezu an – was der Aufmerksamkeit förderlich ist. Großartige Künstler wie den Cellisten Alban Gerhardt, die Geigerin Patricia Kopatchinskaya oder die Dirigentin Joana Mallwitz konnte Alexander Steinbeis in seiner ersten Saison darum präsentieren, viele der Auftritte sind zum Nachhören und -schauen im Internet verfügbar, als klingende Reklame für Kissingen. Das Eröffnungskonzert mit der Sopranistin Annette Dasch und dem HR-Sinfonieorchester ist auf „Arte Concert“ zu finden. Auf dem Youtube-Kanal des Festivals gibt es zum Beispiel Kent Nagano und das DSO, die Bamberger Symphoniker oder auch das Franz Liszt Kammerorchester.

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