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Eigenwillige Akzente. Der Schlagzeuger Paul  Motian (1931 - 2011).

© Redferns/Frans Schellekens

Fließen, zerfließen, aufbegehren: Die Kompositionen des Schlagzeugers Paul Motian

An der Seite von Bill Evans und Keith Jarrett wurde er berühmt. Das Trio mit Joe Lovano und Bill Frisell machte ihn zur Legende. Mit ihrem Album „The Dreamworld of Paul Motian“ macht die Pianistin Anat Fort nun aber auf den eigenwilligen Stückeschreiber aufmerksam.

Von Gregor Dotzauer

Stand:

Unter den großen Schlagzeugern des Jazz ist er ebenso ein Solitär wie als Komponist. Und obwohl Paul Motians instrumentale Talente und seine melodieerfinderischen einiges miteinander zu tun haben, wurde er zu Lebzeiten vor allem als Drummer zur Legende. Niemand setzte, ohne das rhythmische Netz zu zerreißen, an den Cymbals unerwartetere Akzente, niemand vermittelte zwischen einem koloristischen Streicheln und polternden Fellattacken überzeugender. Je mehr Alben unter eigenem Namen er produzierte, desto begehrter wurde er als Partner und blieb doch, insbesondere in der Formation mit dem Gitarristen Bill Frisell und dem Saxofonisten Joe Lovano, ein primus inter pares.

Seit seinem Tod im November 2011 rückt mehr und mehr der Komponist in den Vordergrund. Manche Stücken wirken wie bloße Skizzen und bestehen aus verloren schwebenden Melodien, die sich über einem einzigen Grundton erheben, aus orientalisierenden Skalen, die auf seine armenische Herkunft zurückgehen, oder aus abrupt einen Halbton nach oben oder unten rückenden Wendungen.

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Die israelische Pianistin Anat Fort war die letzte, die an der Seite ihres Bassisten Gary Wang im September 2011 mit ihm im New Yorker Cornelia Café auftrat. Nicht nur diese Koinzidenz hat sie an diese Welt gekettet, der sie mit „The Dreamworld of Paul Motian” (Sunnyside) nun ausführlich Reverenz erweist. Die Auswahl der zwölf Stücke legt das Gewicht tatsächlich auf das betörend Somnambule dieser Musik, ihr Fließendes und Zerfließendes unter Rubato-Himmeln, das auch Anat Forts Ansatz entspricht. Dabei gibt es bei Motian auch ein unruhiges Erwachen, ein rastloses Herumruckeln und Aufflackern der Motive.

Zusammen mit dem Gitarristen Steve Cardenas, einst Mitglied von Motians Electric Bebop Band, und deren Leader im Widerborstigen durchaus verwandten Schlagzeuger Matt Wilson, bietet diese „Dreamworld“ aber einen würdigen Zugang – zum Teil mit von ihm nie selbst eingespielten Stücken.

Anat Forts Hommage ist die vorläufig jüngste in einer langen Reihe. Schon Drummer Phelan Burgoyne hatte mit europäischen Spitzenmusiker alle zuvor papiernen Reste aufgenommen („Yazgol“). Russ Lossing, zeitweise Motians Pianist, hat einige der bekanntesten Stücke kongenial spröde neu interpretiert: einmal solo („Drum Music“) und einmal im Trio („Motian Music“).

Ähnlich präsentiert sich der Schlagzeuger Jeff Cosgrove mit Geiger Mat Maneri auf „Motian Sickness“. Jesse Harrison hat sich mit seinem Gitarrenkollegen Liberty Ellman und einem Streichquartett zusammengetan, um Motians Klanggespinste ohne jede perkussive Hilfe in ein neues Idiom zu übersetzen („The Music of Paul Motian“). Die ungewöhnlichste  Hommage stammt vielleicht von Haşmet Asilkan. Er trägt die Stücke, für Konzertgitarre auf das Einfachste arrangiert, zum Teil unter einer Minute ohne jeden Improvisationsanteil vor („Paul Motian Songbook“). Den wiederum stiftet Noël Akchoté im Dialog mit seiner eigenen akustischen Gitarre („Fiasco“).

Die Breite der Interpretationen wurde möglich, indem Motians Nichte, die Künstlerin Cindy McGuirl, nebenbei Moderatorin des Podcasts „Uncle Paul’s Jazz Closet“, sämtliche Kompositionen in der Handschrift ihres Onkels in zwei „Paul Motian Songbooks“ bündelte. So problemlos sich manche vom Blatt spielen lassen, so schwer ist es, ihre trügerische Einfachheit zum Klingen zu bringen.

Mit einem Klavier, das ihm sein Bandkollege Keith Jarrett überließ, lernte Motian erst spät im Leben, seine Ideen zu notieren. McGuirl hat Kassetten ausgegraben, die dokumentieren, wie mühsam und täppisch Motian sein Material zusammenklaubte. Sein mitunter wochenlang ausgetragener Kampf mit einem ersten Nukleus führte irgendwann zu einprägsamen Themen. Dumm, wer darin Dilettantismus erkennen wollte.

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