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"Ich schließe jetzt ein Abo ab", sagt der Tod in einer der Karikaturen von Catherine im neuen Heft.

© Charlie Hebdo

"Charlie Hebdo" lebt: Lachen gegen die Trauer

"Charlie Hebdo", das Freiheitssymbol: Nur eine Woche nach dem Anschlag legen die Zeitschriftenmacher ein neues Heft vor, in Millionenauflage - und die Franzosen stehen vor den Kiosken Schlange.

Wer unmittelbar von Trauer getroffen ist, dem ist das Lachen – jenes schöne Geschenk, das das Menschenleben von jenem der Tiere unterscheidet – erst einmal versagt und versiegt. Der Tod mag sich sogar angekündigt haben; wenn er den Raum betritt, ist alles anders. Das ist im Privaten so, wenn ein geliebter Mensch zu atmen aufgehört hat und die Luft der Lebenden nicht mehr teilt. Das kann im Öffentlichen so sein, wenn die Wucht eines furchtbaren Ereignisses allen Alltag aufhebt. Auch hartgesottene Journalisten haben letzten Mittwoch, als die Nachricht vom Mord an den zwölf Leuten von „Charlie Hebdo“ mitten ins übliche Medienmachen einschlug, nur stockend weiterarbeiten können. Mancher hat zwischendurch, allein mit sich und trauernd, lange Sekunden einfach aus dem Fenster gesehen.

Wut kann helfen, Wut als vitales Mittel gegen den Schrecken, als ein distanzfördernder Reflex. Und in dem Maß, wie sich in deren erstem Schatten die Trauer ansatzweise rational fassen lässt, gedeiht auch das Lachen wieder. Es ist freilich ein erst einmal schwarzhumoriges Lachen – so schwarz wie die von Lava übergossene Erde, die nach einem Vulkanausbruch wieder fruchtbar zu sich kommt. Eigentlich braucht das Zeit, auch bei Menschen, die sich beruflich mit der Herstellung des Lachens anderer beschäftigen. Insofern bedeutet es eine die Grenzen menschlicher Belastbarkeit aufs Äußerste fordernde Anstrengung, dass die überlebenden Zeichner und Kolumnisten von „Charlie Hebdo“ ein neues Heft gestemmt haben, binnen einer einzigen Woche nach dem Anschlag auf ihre Identität und Existenz.

Willem skizziert „Neue Freunde“ des Hefts: Würdenträger des Judentums, des Christentums und des Islam.
Willem skizziert „Neue Freunde“ des Hefts: Würdenträger des Judentums, des Christentums und des Islam.

© Charlie Hebdo

Das halbe Land beugt sich über "Charlie Hebdo"

Die acht Doppelseiten dokumentieren, in ihrer Mischung aus Karikaturen und Beiträgen der ermordeten Kollegen und neuen der überlebenden Redaktion, ein schon schrecklich historisch gewordenes Paradox: die Trauerarbeit von Humoristen. Sie machen – eher kurz – lachen dort, wo sie lachen machen wollen, und sie machen weinen dort, wo der Wille zum Scherz immer wieder überspringt in den Schmerz. Und mindestens ebenso dort, wo der artikulierte Schmerz durch die Pointe, die Satire, die Ironie gebunden werden soll.

In dieser Ausgabe von „Charlie Hebdo“ – auf den „Tout est pardonné“-Titel mit dem Propheten Mohammed alias „Je suis Charlie“ folgt ein wunderbar kreatives Konglomerat aus Text und Bild – artikuliert sich gleichsam die zweite substanzielle Etappe eines gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Bewältigungs- und Überwindungsprozesses. Die erste war die Pariser Willensbekundung vom 11. Januar, die wie ein Echo auf den soeben erlebten und überlebten französischen und europäischen „11. September“ gelesen werden kann. Die zweite: Diese Ausgabe von „Charlie Hebdo“, zunächst in 700 000 Exemplaren in Frankreich ausgeliefert (weltweit sollen sechs Millionen in den Handel gelangen), ging dort am Erstverkaufstag binnen kurzem weg. Das halbe Land beugt sich dieser Tage über das neue „Charlie Hebdo“-Heft. Das heißt auch: Es stellt sich schützend vor seine Macher.

Die Karikaturen des neuen Heftes zielen auf alle Religionen, nicht nur den Islam

Luz, von dem auch das Mohammed-Cover stammt, zeichnet die Attentäter bei der Ankunft im Himmel: „Und wo sind jetzt die 70 Jungfrauen? – Bei der Truppe von ,Charlie’, Ihr Flaschen!“
Luz, von dem auch das Mohammed-Cover stammt, zeichnet die Attentäter bei der Ankunft im Himmel: „Und wo sind jetzt die 70 Jungfrauen? – Bei der Truppe von ,Charlie’, Ihr Flaschen!“

© Charlie Hebdo

Diese imponierende Entschiedenheit, dieser solidarische Ernst hat allerdings Lücken – und der neue Chefredakteur Gérard Biard nennt sie in seinem flammenden, „Apéro“ genannten Leitartikel beim Namen. Die Gegner macht er in den Bedenkenträgern gegenüber dem im Blatt engagiert vertretenen Atheismus aus. Aber „wir wollen optimistisch sein“, schreibt er, „auch wenn nicht Saison ist“. Also hofft er, dass fortan die „laicité“ – womit die Trennung von Kirche und Staat ebenso gemeint ist wie das Recht auf Nichtgläubigsein – „fest verteidigt“ werde, denn sonst drohe in letzter Konsequenz der „religiöse Totalitarismus“. Umrandet sind diese grimmigen Sätze vom Spott darüber, dass man jetzt wohl als atheistisches Blatt mehr Wunder bewirkt habe als alle Heiligen und Propheten zusammen – aber eben nur: umrandet, zwecks besserer Bekömmlichkeit.

Dieser Geist trägt die zahlreichen antiklerikalen, und das heißt: alle Religionen betreffenden antifundamentalistischen Karikaturen des Hefts, wobei sich zu Zeichnungen der Ermordeten Jean Cabut (Cabu), Bernard Verlhac (Tignous), Georges Wolinski und Stéphane Charbonnier (Charb) die der Überlebenden gesellen, vor allem von Renald Luzier (Luz) und Catherine Meurisse (Catherine). In einem anrührenden Comic würdigt Catherine die extrem temperamentvolle und wörterverliebte Kolumnistin Elsa Cayat, die „psy“ – also Psychotherapeutin – der Redaktion, die einzige Frau unter den Toten. Einer der Attentäter liegt irgendwie reumütig bei ihr auf der Couch, rühmt sich etwa, die Redaktionshündin verschont zu haben, und fängt sich Elsas sarkastische Kommentare ein. Aus seiner Klage über die „boucherie“ (das Blutbad) macht sie ein Wortspiel mit „bouche“ (Mund) und „rit“ (lacht): „Ach, Sie lächeln gelegentlich auch?“

Cabu: "Krepieren ist Scheiße genug"

Hier, beim Blick in die nach außen notwendig kaltblütig analysierende, aber umso binnenwarmherzigere Redaktion gehen einem beim Lesen  mitunter die Augen über. Etwa wenn in einer als Mutmacher gedachten Kolumne der Zeichner Cabu zitiert wird: „Krepieren ist Scheiße genug, da sollte man nicht auch noch Schiss vor haben.“ Oder die Liebeserklärungen an den ebenfalls ermordeten Korrektor Mustapha: „Jetzt bleiben meine Fehler für immer“, schreibt Patrick Pelloux und fragt sich fortwährend, warum ein paar seiner Kollegen bloß nicht ans Telefon gehen. „Es ist so spät“, bilanziert er, „und ich verstehe nicht, warum das hier die erste Kolumne ist, die ich unter Tränen schreibe.“ Um dann doch mit einem Witz zu schließen: Die „neuen Technologien“ sind dran schuld, dass all die Genannten sich nicht melden.

Inzwischen macht die Wirklichkeit auf ihre Weise weiter. In der Türkei sieht sich die oppositionelle Tageszeitung „Cumhuriyet“ Repressalien ausgesetzt, weil sie die Mohammed-Karikatur vom „Charlie Hebdo“-Titel nachgedruckt hat. Und während anderswo Zeitungshäuser seit den Anschlägen letzte Woche von der Polizei geschützt werden, beschlagnahmt die türkische Polizei die inkriminierte Ausgabe – und im Internet werden islamkritische Seiten staatlicherseits gesperrt. Alles Stoff für „Charlie Hebdo“ und uns alle: Die Trauer hört nicht auf, aber an die Arbeit gehen muss man doch.

Das „Charlie Hebdo“-Heft ist in Deutschland ab Sonnabend erhältlich.

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