zum Hauptinhalt
Mutfragen. Mit klaren Sätzen fängt es an: Subjekt, Prädikat, ....

© imago

Kolumne Spiegelstrich: Lasst die Sätze fließen!

Nachplappern oder abschreiben kann jeder. Trauen wir uns, neue Worte zu finden. Zehn Ratschläge, wie wir gut schreiben können.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Für den Tagesspiegel schreibt er seine wöchentliche Kolumne „Spiegelstrich“ über Sprache und Politik.

Wie schreiben (und reden) wir gut? Und wie noch ein bisschen besser? Da wir vor drei Wochen an dieser Stelle die überflüssigen Wörter abgeschafft haben, fragt sich heute: Was schreiben wir in die Löcher hinein? Und wie kommen wir zu präzisen, pointierten, ideal wäre ja: nie da gewesenen Sätzen? Sätzen wie jenem von Frank Bruni, der in der „New York Times“ kommentierte, wie Ivanka Trump, Tochter, bei Kim Jong Un, Diktator, auftauchte: „With Daddy she swanned toward the Hermit Kingdom, testing the boundaries of Take Our Daughters to Work Day.“ Dieser Satz wirkt unübersetzbar, schon weil das Wunderverb „to swan“ nicht zu „schwanen“ (und schon gar nicht zu „ihr schwante“) werden kann.

Obwohl...? Sie schwante? Wenn wir uns trauen ...

Trauen wir uns. Zehn erste Ratschläge:

1. Schaffen Sie Klarheit. Stellen Sie das Subjekt nach vorn, und dann folgt ein Verb, das grammatikalisch zum Subjekt passt (Subjekt im Singular, Verb im Plural ... ähem, nein.). Ausnahmen in Sachen Satzanfang sind dann gestattet, wenn das Objekt wichtiger ist als das Subjekt. Keine Leserin, kein Leser darf aber zum Anfang zurückkehren müssen, nur um die Konstruktion unseres Satzes zu dechiffrieren. Warnhinweis: Das tut sowieso niemand. Leser sind verwöhnte Lebewesen und steigen aus, wenn sie keine Lust mehr haben.

2. Lesen Sie Ihren Satz laut. Klingt und schwingt er? Wenn Ihre Silben wie Akkorde funktionieren, sind Sie gut unterwegs.

3. Lesen Sie etwas später den ganzen Absatz laut (und am Ende den ganzen Text). Wenn Ihre Sätze eine Verbindung haben, wenn Ihre Leser vom einen Satz in den nächsten gleiten, dann wird aus Ihren Sätzen ein Song. Rhythmus streben wir an, weshalb dieses stolze Objekt seinen Satz beginnen darf.

4. Und Sie werden hier oder dort hören, dass Sie Sätze nicht mit „und“ oder „aber“ beginnen sollten. Aber das ist Quatsch. Und darum probieren Sie aus, ob vielleicht exakt durch ein „und“ (seltener: durch das „aber“) die Verbindung zwischen zwei Sätzen erst entsteht. Und der Rhythmus. Am Rande: Regeln schaffen die unter 1. gewünschte Klarheit. Aber nicht immer. Und manche Regeln sind Stuss (dazu kommen wir demnächst) und möchten sehnsüchtig gebrochen werden.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

5. Die Zahl der Adjektive haben wir bereits reduziert, nehmen Sie bitte Verben. Verben handeln, Verben beschleunigen.

6. Seien Sie kompetent. Recherchieren Sie also, und werden Sie sich vor dem Schreiben klar darüber, was Sie sagen wollen. Wissen macht selbstbewusst, nur bitte nicht angeberisch. Gelassenheit und Humor streben wir an (Objekt, Prädikat, Subjekt, eben darum).

7. Schreiben Sie eher kurze als lange, aber schreiben Sie vor allem unterschiedliche Sätze. Ich, der ich stolz auf mein Großes Latinum bin, das ich als Sohn eines Lateinlehrers, für den es nichts Wichtigeres als Cicero und Vergil, die die Meister der Relativsätze waren, gab, erstritten habe, habe soeben einen Satz mit dreifacher Relativkonstruktion stilvoll zu vollenden versucht und bin elendiglich gescheitert. Komplizierte Sätze jedoch, denen man folgen kann und die vom ersten bis zum letzten Wort fließen, sind etwas Wundervolles. Trauen Sie sich.

8. Trauen Sie sich! Wer nicht nachplappern oder abschreiben, wer also der Welt Neues hinzufügen möchte, geht ein Risiko ein. Hier beginnt der Spaß der Freiheit.

9. Da wir beim Risiko sind: Lassen Sie Metaphern weg, die Sie schon kennen (Ihre Leser kennen sie auch).

10. Finden Sie neue. Erfinden Sie ein Wort, es kann durch einen gedrehten, weggelassenen oder beigefügten Buchstaben entstehen. „Firlefranz“, gemeint war Beckenbauer, ist nun schon 20 Jahre alt, aber ich habe noch immer die Freude daran, die bloß leider weder gelassen noch humorvoll, sondern fraglos angeberisch ist.

Klaus Brinkbäumer

Zur Startseite