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Die Schriftstellerin Laura Freudenthaler, Autorin von „Arson“

© Jung und Jung

Laura Freudenthalers Roman „Arson“: Wie schlafen, wenn die Erde brennt?

Sehr eindringlich erzählt die österreichische Schriftstellerin Laura Freudenthaler in ihrem neuen Roman, wie die Panik vor der Klimakatastrophe in einen pyromanen Wahn kippt.

Von Gisa Funck

Stell dir vor, es ist Weltuntergang – und kaum jemand nimmt ihn ernst. So verhält sich gerade die Mehrheit unserer Wohlstandsbevölkerung. Warnungen vor dem globalen Öko-Kollaps, stets neue Rekordwerte bei der Erderwärmung, Flutwellen, Bergrutsche, Gletscher-Abschmelzungen, Waldbrände: Die meisten von haben sich an solche Katastrophenmeldungen gewöhnt und schieben sie weitgehend unbeeindruckt beiseite. Nicht so die namenlose Ich-Erzählerin in Laura Freudenthalers Roman „Arson“ (was anspielungsreich auf Englisch „Brandstiftung“ heißt.). Sie registriert jedes Krisensymptom unseres fiebernden Planeten sehr genau. .

Für sie hat es schon lange Fünf nach Zwölf geschlagen, für sie ist unwiderruflich die Zeit des apokalyptischen Weltenbrands angebrochen. „Ich muss zu überleben beginnen“, schärft sich Freudenthalers Chronistin folglich zu Anfang ihres Berichts ein. Überall sieht sie bereits erste Flammen eines Endzeit-Infernos auflodern, auch wenn es real gar nicht brennt. Schon die aufgestellte Schwanzrute eines Hundes kommt ihr wie „ein verirrtes Rauchfähnchen“ vor. Und nach einem Umzug wundert sie sich darüber, dass sich niemand über eine „Feuerwand“ in ihrer alten Wohnung beschwert. Vermutlich, so die abstruse Erklärung der Daueralarmierten, seien „die Flammen ins Mauerwerk übergegangen oder in die nächste Wohnung weitergelaufen.“

Man merkt: In „Arson“ spricht eine psychisch Versehrte. Eine Apokalyptikerin, die von Feuerbränden genauso obsessiv fasziniert ist wie von der Schreckensvision eines unmittelbar bevorstehenden Weltuntergangs. Freudenthalers Roman ist das Protokoll eines Wahns. Die Erzählerin steigert sich fatal in eine fixe Idee hinein.

Wie für Wahnzustände typisch verschwimmen in der Wahrnehmung der Betroffenen dann schon bald die Grenzen zwischen Einbildung und Realität, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Innen- und Außenwelt. Zunächst nämlich versucht die verzweifelte Chronistin noch etwas Trost in ihren Schlafträumen zu finden. Schnell aber wird ihre Panik so groß, dass die Träume versiegen – und sie nachts ruhelos durch die Stadt streift, um dort prompt weitere apokalyptische Zeichen zu entdecken.

Mit ihrem Partner und ihren Freundinnen kann sie darüber nicht sprechen. Diese kreisen vor allem um sich selbst, um ihre Beziehungsprobleme oder Kindheitstraumata, und versuchen sich vor der „Negativität“ der Freundin zu „schützen“. Als diese sich einem Freund gegenüber offenbart, hat er für ihre Weltuntergangspanik nur resignativen Spott parat. Auffällig empathielos entgegnet er ihr, dass jede Sorge wegen des Klimawandels „sinnlos“ sei. „Es ändert gar nichts, ob du unglücklich bist oder frohgemut.“ 

Es sind solche Kippmomente, die Freudenthalers Bericht so spannend machen. An diesen Stellen weiß man nämlich plötzlich nicht mehr, wer hier eigentlich „verrückt“ ist. Die Erzählerin in ihrer übersteigerten Angst vor dem Weltenende? Oder vielleicht doch eher ihre Mitmenschen, die sich bequem in einem angeblich alternativlosen Fatalismus eingerichtet haben – und allen Warnhinweisen zum Trotz stur mit ihrem Ressourcen verschwendenden Komfortleben weitermachen?!

Erst mit einem hartnäckig unter Schlaflosigkeit leidenden Meteorologen, der ebenfalls namenlos bleibt, findet die Erzählerin schließlich jemanden, der ihre Obsession versteht. Schließlich sieht dieser Mann als Spezialist für Waldbrände tagtäglich, wie die Erde vor seinen Augen verbrennt. Nachts kann er deswegen verständlicherweise nicht schlafen. Seine Therapeutin reagiert auf sein Leiden ausgesprochen ignorant und hilflos, sie kommt der Schlaflosigkeit des „Feuerwächters“ nicht auf die Spur. Denn wie soll er als Brandspezialist auch zur Ruhe kommen, wenn er tagtäglich vor den Bildschirmen ohnmächtig dabei zusieht, dass ihm sozusagen der Boden unter den Füßen wegbrennt?! 

Nicht nur hier klingt in Freudenthalers Roman ein schwarzer, morbide-österreichischer Humor an. Man kann dieses sprachlich ambitionierte, anspielungsreiche Krankheitsprotokoll als Kritik an der heutigen Gesellschaft lesen, in der sogenannte Profis ständig mithilfe von Statistiken und Psychologisierungen den Eindruck erwecken, als hätten sie jedes Problem bestens im Griff – während ihnen tatsächlich zunehmend die Kontrolle über unsere Lebensgrundlagen entgleitet.

So durchweht dieses Buch ein dringlicher, existenzieller Sound – mit Notizen auf oft nur einer Buchseite, häufig aufgeladen mit poetisch verrätselten Sprachbildern. Eine mitunter schwierige Lektüre. Freudenthaler schafft es aber, dass man ihrem von Feuerbränden besessenen Liebespaar bis zum Schluss gebannt folgt – und zuletzt sogar versteht, warum beide selbst zu pyromanen Brandstiftern werden. Denn Feuer kann man effektiv nur mit Feuer bekämpfen. Das gilt auch für verzehrende Seelenfeuer.

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