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Walter Abishs und Jörg Laederachs Roman "Alphabetisches Afrika": Laut und Luise

Walter Abish und Jörg Laederach reisen alphabetisch nach Afrika

„Wenn du etwas durch Meditation nicht finden kannst“, riet Heinrich von Kleist einst seinem Freund Rühle von Lilienstern, dann sprich „mit dem nächsten Bekannten darüber.“ Denn wie der Appetit beim Essen kommt, so formen sich die Gedanken beim Reden. Eine ähnliche Empfehlung gab der Schriftsteller Hermann Burger 1986 den Hörern seiner Frankfurter Poetik-Vorlesungen als er meinte, dass zur allmählichen Verfertigung der Gedanken nicht nur das Reden, sondern auch das Schreiben hilfreich sei: „Ideen liegen nicht in der Luft, man muss ihnen die Chance geben zu Papier zu kommen, um dem Anfang ein Ende zu finden.“

Ein weiter Weg von A nach Z

Wie schwierig jedoch der Weg von der Idee zum Text sein kann, führt Walter Abish in seinem Roman „Alphabetical Africa“ vor Augen und spielt dabei absichtsvoll mit der Verärgerung des Lesers, den er von der ersten Seite an mit der Frage nach dem Sinn der eingebauten Sprachbarrieren düpiert. Abish konstruiert eine Geschichte, deren Handlungsverlauf nicht von den Zufällen des Lebens, sondern von der alphabetischen Ordnung bestimmt ist. Jedem der 52 Kapitel ist ein Buchstabe zugeordnet. Im ersten verwendet er lediglich Worte mit dem Anfangsbuchstaben „A“, im zweiten kommen Wörter mit dem Anfangsbuchstaben „B“ hinzu, sodass es dem Ich-Erzähler erst im Kapitel „Z“ gelingt, sein Afrika vollends zu entfalten.

In „Alphabetical Africa“ konstruiert Abish nicht nur einen Kontinent, sondern rekonstruiert zugleich auch den Prozess seiner Aneignung über das eigene abendländische Zeichensystem. So, wie sich die Kolonialmächte Afrika durch Bilder, Filme, Landkarten, Lexika, willkürliche Grenzziehungen und Namen erst begrifflich und dann politisch-wirtschaftlich angeeignet haben, so greift Abish nach einem Afrika, das durch Hinzufügen von Buchstaben allmählich an Deutung gewinnt.

In eben jener Art wie sich der Roman von der sperrigen Lyrik zur fließenden Prosa bewegt, schwindet das Verborgene, Archaische und Fremde dieses Kontinents und wird in die uns vertraute Zeichenwelt überführt. Afrika erhält ein westliches Gesicht, das sich auf die afrikanischen Kulturen allerdings nur mit Gewalt projizieren lässt.

Angesichts der Unfassbarkeit Afrikas tritt Abish im zweiten Teil des Romans den Rückzug von „Z“ nach „A“ an und eliminiert Buchstabe um Buchstabe die Semantik dieses Kontinents und damit den naiven Glauben seiner objektiven Darstellbarkeit. Abishs Roman liest sich als Kritik am Aneignungswillen einer ethnozentristisch-westlichen Welt. Nichts bleibt am Ende übrig als ein Gestammel von Worten mit dem Anfangsbuchstaben „A“. Hier bringt der Europäer nicht mehr hervor als jene geschichtslosen Buschmänner mit ihrem „gewalttätigen Gebrüll ungehobelter Laute“, von denen Joseph Conrad in seiner Novelle „Herz der Finsternis“ berichtet. Zurück bleibt ein Leser, der zwar wenig über diesen Kontinent, dafür aber umso mehr über die eigenen kulturellen Deutungsmuster erfährt. In seinem Bild von Afrika spiegeln sich die eigenen Erwartungen und Domestizierungen wider.

Über die Widerspenstigkeit des Erzählstils konfrontiert Abish den Leser mit dem unterdrückerischen Charakter des Zeichensystems. In gleichem Maße, wie die Sprache dem Individuum dazu dient, sich auszudrücken, zwingt es die Welt in die alphabetische Form. In dieser Dialektik ist die Sprache weder reaktionär noch progressiv, wie der französische Literaturwissenschaftler Roland Barthes einmal formulierte; sie ist ganz einfach faschistisch, denn Faschismus heißt nicht am Sagen hindern, sondern zum Sagen zwingen. Sie drängt uns dazu, als Subjekt aufzutreten und „Ich“ zu sagen, bevor wir eine Handlung aussprechen können; sie zwingt dazu, unsere Beziehungen zu anderen durch „Du“ oder „Sie“ zu kennzeichnen. Auf diese Weise impliziert Sprache Entfremdung und Selbstverwirklichung zugleich.

Chad oder Tschad

Niemand kennt diese Ambivalenz besser als ein Übersetzer. Dies gilt auch für Abishs Roman, dessen Übertragung bei jedem Wort in Gefahr steht, den Handlungsverlauf zu verändern. Während die englische Version ins „Chad“ führt, muss man im Deutschen bis zum „T“ warten – oder die Route ändern. Kein Wunder, dass Abishs 1974 erschienener Erstling lange als unübersetzbar galt (Hanna Muschg hat sich 1983 in der Zeitschrift „Manuskripte“ am ersten Kapitel versucht).

Von daher ist der Roman nicht nur ein Sinnbild kultureller Transkription, sondern zugleich auch ein Paradebeispiel literarischer Übersetzung, die kaum jemand besser bewerkstelligen konnte, als ein Schriftsteller. Jürg Laederachs Adaption ist im doppelten Sinne des Wortes originell. Dass der Verlag beide Versionen in einem Band nebeneinander stellt, ist daher nur recht und für den Leser ein zweifacher Gewinn.

Walter Abish/Jürg Laederach: Alphabetisches Afrika. Roman. Urs Engeler Editor, Basel/Weil am Rhein 2002. 370 Seiten, 27 €.

Klaus J. Milich

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