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Murphy-Darsteller Jonas Sippel nimmt sich Anleihen beim großen Jack Nicholson.

© Foto: Andi Weiland

Leander Haußmann macht Rambazamba: Wilde Flucht aus dem Klinik-Alltag

Leander Haußmann inszeniert im Theater RambaZamba Ken Keseys Psychiatrie-Klassiker „Einer flog über das Kuckucksnest“.

Natürlich ist der übermächtige Jack Nicholson präsent. Wenn „Einer flog übers Kuckucksnest“ auf dem Spielplan steht, werden nun mal Erinnerungen wach an Miloš Formans geniale, Oscar-prämierte Verfilmung des Romans von Ken Kesey mit Nicholson in der Rolle des Psychiatrie-Rebellen McMurphy, der zwar den Wasserspender der Anstalt nicht aus den Angeln heben kann, aber die Welt der dort geknechteten Patient:innen auf den Kopf stellt.

Auch Leander Haußmann weiß um die überlagernde Wirkmacht dieser Bilder aus dem Jahr 1975, weswegen er sich für einen offensiven Umgang entscheidet. In seiner Inszenierung der Emanzipationsgeschichte einer Gruppe sozial Ausgegrenzter am Theater RambaZamba werden immer wieder Szenen aus Formans Drama an die Wände projiziert. Aber – und das ist ein sehr smarter Kunstgriff – Schritt für Schritt erobert sich sein Berliner Ensemble den Film.

Die RambaZamba-Truppe drehte ihre eigene Version des Romans

Erst, indem sein großartiger McMurphy-Darsteller Jonas Sippel in stilecht nachgedrehten Sequenzen ins Original hineingeschnitten wird. Schließlich, indem die RambaZamba-Truppe ihren eigenen Streifen dreht, zu sehen auf einer Leinwand im Theatersaal. Das Motiv von Selbstermächtigung, das ja zentral für „Einer flog übers Kuckucksnest“ ist, löst sich da wirksam (und auch sehr komisch) ein.

Stoff, Regie, Darsteller:innen – es passt alles zusammen an diesem tollen Abend in der Kulturbrauerei. Ein stimmiger Grad an anarchischer Energie herrscht, der die Geschichte trägt und befeuert, ohne dass die Anschlussfähigkeit verloren ginge. Zur Singer-Songwriter-Musik des Berliner Projekts gespenster von Phil Haussmann (der als Lonesome Cowboy auftritt) wird erstmal Klinik-Alltag performt.

Kreis der Erniedrigten und Sedierten im Tabletten-Regiment der autoritären Schwester Ratched. 
Kreis der Erniedrigten und Sedierten im Tabletten-Regiment der autoritären Schwester Ratched. 

© Foto: Andi Weiland

Zur Gruppentherapie unter der Leitung der strengen Oberschwester Ratched (Franziska Kleinert) und ihrer Auszubildenden (Nele Winkler) versammeln sich ein eingebildeter Arzt (Norbert Stöß), der von Mutterproblemen geplagte Billy, der geheimnisvolle Dirk und der entehrte Mr. Harding, dessen Frau notorisch fremd geht. Keine Selbsthilferunde, sondern ein Kreis der Erniedrigten und Sedierten, fügsam geworden in Schwester Ratcheds Tabletten-Regiment.

Als Outsider platzt McMurphy in dieses repressive System, ein Schlitzohr und Gauner, der eine psychische Störung vorgetäuscht hat, um sich dem Arbeitsdienst im Knast zu entziehen. Sippel verkörpert ihn als Lebemann mit Jeansjacke und „Unique“-Shirt, der programmatisch Queens „I want to break free“ anstimmt und bald Freundschaft schließt mit dem „Häuptling“ – einem vermeintlich gehörlosen, stummen Patienten, der meist apathisch den Boden fegt. Doch stille Wasser sind bekanntlich tief. McMurphy reißt die anderen nicht nur aus ihrer Lethargie, er stiftet sie auch an, der Enge ihres Klinik-Alltags zu entfliehen. Was in dem schon erwähnten Film mündet, in dem Leander Haußmann das Ensemble auf eine muntere Prenzlauer-Berg-Tour rund ums Areal der Kulturbrauerei schickt.

(Nächste Aufführungen am 29. und 30. Oktober, weitere im November)

Die entfesselte Gruppe (zu der vom RambaZamba-Stammteam auch Christian Behrend, Anil Merickan Dirk Nadler und Sebastian Urbanski zählen) vertickt den Psychiatrie-eigenen Medikamentenvorrat an Drogenkonsumierende, kleidet sich komplett neu und fancy ein, trifft auf einen von Detlev Buck verkörperten Polizeideppen und zwei sexpositive Ladys (Clara Metzger und Karla Sengteller). Ein großer Spaß – den allerdings McMurphy teuer zu bezahlen hat. Wobei dieser Abend hoffnungsvoller endet als Formans Film. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Regisseur Haußmann hatte nicht nur offensichtlich selbst ein großes Vergnügen an dieser Arbeit. Er schafft auch den Raum für die Spieler:innen, sich in voller Autonomie bei dieser freundlichen Übernahme des Kuckucksnestes zu entfalten. Entstanden ist eine der besten RambaZamba-Produktionen der jüngeren Vergangenheit.

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