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Kultur: Leben im Delta

So schaut also mittlerweile das Morgenland aus: Haushohe Fotografien von Strommasten empfangen im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt den Besucher. Auf Stoffbahnen gedruckt, vermittelt die Arbeit des unlängst verstorbenen jordanischen Künstlers Ali Jabri einen bestürzenden Eindruck seiner Heimat: Vor lauter Stahlstreben sieht man die Landschaft nicht mehr.

So schaut also mittlerweile das Morgenland aus: Haushohe Fotografien von Strommasten empfangen im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt den Besucher. Auf Stoffbahnen gedruckt, vermittelt die Arbeit des unlängst verstorbenen jordanischen Künstlers Ali Jabri einen bestürzenden Eindruck seiner Heimat: Vor lauter Stahlstreben sieht man die Landschaft nicht mehr. Eine prägnantere Eingangssituation hätte sich für die Ausstellung „DisORIENTation“ über die zeitgenössische arabische Kunst im Nahen Osten kaum finden lassen: Auf einen Blick macht sie die Zerrissenheit der Region zwischen Moderne und Tradition, politischer Spaltung und religiös-ideologischem Einigungsanspruch, kultureller Selbstvergewisserung und praktischer Abhängigkeit von westlicher Technologie deutlich.

Ein Bild allerdings reicht nicht aus: „Nur der Westen betrachtet die so genannte arabische Welt als eine Einheit. In Wirklichkeit ist sie äußerst fragmentiert und differenziert; jedes Land hat seine spezifischen Probleme“, betont Ausstellungskurator Jack Persekian, gebürtiger Jerusalemer armenischer Abstammung. Die Position der Künstler sei dabei prekär, so der Kurator: „Sie sind doppelt isoliert: Erstens innerhalb ihres eigenen sozialen Umfelds. Zweitens mangelt es an Kontakten zwischen den Künstlern aus verschiedenen Ländern.“ Darin drücke sich ein generelles Defizit der arabischen Kultur aus, die sich traditionell auf Schrift und Literatur konzentriere. „In der heutigen Welt spielt das Visuelle eine überragende Rolle. Doch bei der Visualisierung von Schriftlichkeit hinken wir hinterher: Kunst gilt im arabischen Kontext als unwichtig“, bemängelt Persekian.

Wahrscheinlich liegt es an ihrer wechselseitigen Isolation, dass die 13 vorgestellten Künstler keine Formensprache eint. Zwar verwenden sie mehrheitlich avancierte Techniken wie Installationen und Videoprojektionen, doch inhaltlich verfolgen sie eigenständige Ansätze. Diese Disparatheit setzt die Ausstellungsregie in eine kongeniale Inszenierung um: Die Schauräume sind weiß und leer wie die Wüste – eine ideale Projektionsfläche für die Klischees westlicher Betrachter. Die Exponate verbergen sich in abgetrennten Kabinetten wie in Oasen. Man muss wie bei weiß gekalkten arabischen Häusern die abweisend schmucklosen Fassaden ignorieren und ins Zentrum vordringen, um ihren Reichtum zu erfahren.

Am eindrucksvollsten ist dieses Wechselspiel zwischen karger Oberfläche und innerer Fülle beim Mammutprojekt der „Fondation Arabe pour l’Image“. In einem Labyrinth stellen die Libanesen Walid Raad und Akram Zaatari die Ergebnisse ihrer Recherche vor. Sie haben Tausende von Porträtaufnahmen zusammengetragen, die professionelle arabische Fotografen im 20. Jahrhundert anfertigten. Zu schier endlosen Reihen komponiert, erlaubt diese Bilderflut, den Wandel des Selbstverständnisses einfacher Menschen im Laufe der Zeit nachzuvollziehen.

Dabei wird evident, wie sehr die Porträtfotografie im Nahen Osten auf das westliche Vorbild angewiesen blieb: Mit der Aufnahmetechnik wurde zugleich die Darstellungsweise importiert. Die Gruppenfotos ägyptischer und irakischer Soldaten aus der Zwischenkriegszeit gleichen in ihren martialischen Posen denen europäischer Truppen im Ersten Weltkrieg. Passbilder entsprechen bis in Details der Mode und des Haarschnitts westlichen Pendants. Selbst Schnappschüsse libanesischer Badegäste aus den Fünfziger Jahren wirken, als seien sie auf Capri oder an der Riviera entstanden: Die Internationale der entstehenden Konsumgesellschaft überformt lokale Eigenarten.

Den Gegenpol zu einem Osten, der sich unentwegt auf den Westen bezieht, präsentiert die ägyptisch-deutsche Künstlerin Susan Hefuna. Sie filmte das 100-minütige Video „Life in the Delta“ im Dorf ihrer Geburt. Auf einer staubigen Straßenkreuzung in gleißendem Sonnenlicht passiert nicht viel. Gezeigt wird der Mittelpunkt eines eigenen Kosmos: Jeder Passant und jede Einzelheit hat seine Geschichte. Ihre Bedeutung erschließt sich allerdings nur demjenigen, der wie Hefuna dort verwurzelt ist. Die Arbeit ist ein Beleg für ihre These: „Man sieht nur, was man zu sehen fähig ist.“ Und das ist bei hiesigen Zuschauern nicht viel: Ihnen fehlt das Vorwissen, um die Ereignisse auf der Leinwand bewerten zu können. Entscheidend für das Urteilsvermögen ist die Kenntnis des Kontexts. Jenseits tagesaktueller Konflikte den Betrachter für die Andersartigkeit dieser Kulturen zu sensibilisieren – das ist die Leistung dieser Werke, die nur bei flüchtigem Hinsehen spröde und unzugänglich erscheinen.

Eröffnung heute um 19.30 Uhr, bis 11. Mai dienstags bis sonntags 11 bis 19 Uhr. Katalog 18 Euro. Umfangreiches Rahmenprogramm mit Film, Theater, Literatur und Konzerten.

Oliver Heilwagen

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