zum Hauptinhalt

Kultur: Lesben lassen lesen

Das Literarische Quartett hat in Berlin zahlreiche, hochseriöse Nachahmer gefunden: Kritiker treffen sich im LCB am Wannsee, Historiker fachsimpeln in der Schleicherschen Buchhandlung.Was den Unterhaltungswert angeht, bleiben sie in der Regel hinter dem Original zurück.

Das Literarische Quartett hat in Berlin zahlreiche, hochseriöse Nachahmer gefunden: Kritiker treffen sich im LCB am Wannsee, Historiker fachsimpeln in der Schleicherschen Buchhandlung.Was den Unterhaltungswert angeht, bleiben sie in der Regel hinter dem Original zurück.Eine echte Alternative in puncto Amüsement verspricht dagegen eine Runde, die sich heute abend in der Kreuzberger Passionskirche zum zweiten Mal die Ehre gibt: Das lesbische Quartett.Ganz nach dem großen Vorbild talken jeden letzten Mittwoch im Monat die Moderatorin Manuela Kay, Sexpertin Laura Merrit und Jim Baker vom schwul-lesbischen Quer-Verlag.Hinzu kommt jeweils ein Gast; dieses Mal Sonja Schock vom Info-Radio.Pro Veranstaltung stehen fünf Bücher zur Debatte, die in jedem Fall von Lesben handeln, aber nicht zwingend auch von solchen geschrieben sein müssen - heute verspricht etwa "Zwei Frauen" von Harry Mulisch eine heftige Kontroverse.

Das Label "von Subkultur für Subkultur" will sich das lesbische Quartett nämlich nicht anheften.Den Veranstaltern von der Buchhandlung Chronika geht es darum, lesbische Inhalte "nach außen zu bringen", das heißt auch an homosexuelle Männer und heterosexuelle Leser."Bei Pasolini, Gide oder Genet spricht man zuerst von Weltliteratur und nicht von schwulen Autoren", gibt Chronika-Inhaber Charalampos Ioannou zu bedenken.So weit habe es die lesbische Literatur noch lange nicht gebracht.

Die Buchhändler, zu deren gut sortiertem Sortiment ein schwul-lesbisches Spezialangebot gehört, initiierten das Quartett, um die lesbische Literatur aus ihrer verschämten Ecke zu befreien.Der Start im Januar zeigte, daß sie einen guten Riecher hatten: Über 200 - noch meist lesbische - Zuhörer waren gekommen.Die Empfehlungen taten ihre Wirkung, was nicht nur Chronika in den folgenden Tagen beim Verkauf merkte.Statt der ursprünglich angesetzten drei Proberunden sind jetzt bereits Termine bis zum Jahresende geplant.

Wesentlicher Erfolgsfaktor ist Besetzung des Podiums, auf dem sich Temperamente, Kenntnisse und kabarettistisches Talent zu einer turbulenten Mischung ergänzen.Als Reich-Ranicka immer für eine Provokation gut, mimt Manuela Kay die Gastgeberin und kultiviert einen schlagfertigen Subjektivismus: "Ich bin die klassische Konsumentin.Mir gefällt, was sich einprägt und irgendeine Form von Identifikation erlaubt."

Literaturwissenschaftliche Kriterien überläßt die Redakteurin des schwul-lesbischen Magazins "Siegessäule" ihren Mitstreitern.Laura Merrit, die derzeit über das Gesprächsverhalten von Frauen beim Sex promoviert, interessiert sich als Linguistin naturgemäß besonders für die sprachliche Beschaffenheit von Texten."Es war ja schon schwer, das Klischee auszuräumen, Lesben seien radikale Mannsweiber.Jetzt geht es darum, zu zeigen: Sie können auch schreiben." Und - wie die Vorkämpferin in Sachen Sexutensilien für Frauen zeigt - auch pointiert kommentieren.

Zwischen den temperamentvollen Damen fühlt sich Jim Baker nach eigenem Bekunden nicht selten wie die Löffler in die Rolle des Schlichters bugsiert.Der Verleger muß besonderes Feingefühl beweisen, wenn Titel aus dem eigenen Programm verhandelt werden.Den Balanceakt meistert der gebürtige Amerikaner souverän.Vielleicht liegt es an der männlichen Perspektive, daß er Fragen nach vermeintlichen Tabuthemen wie etwa Gewalt zwischen Lesben stellen kann, ohne anzuecken.Und er klagt das Recht auf Unterhaltung in der Literatur ein.Die Trennung von sogenannter ernstzunehmender Belletristik empfindet er als typisch deutsch.

Einen Lesben-Bonus gewährt das Quartett den vorgestellten Büchern nicht.Literarische Schwächen werden beim Namen genannt und abgegriffene Sujets attackiert."Nicht schon wieder eine Coming-Out-Geschichte", lautete etwa ein Stoßseufzer bei der Premiere und signalisierte, daß die Bewegung sich emanzipiert hat."Lesbisch-Sein allein genügt nicht", befindet Manuela Kay."Literatur muß noch etwas anderes transportieren, um gut zu sein."

Überprüft werden daraufhin neben Harry Mulisch heute: Mireille Best ("Es gibt keine Menschen im Paradies"), Klaudia Brunst ("Spätere Heirat ausgeschlossen"), Rita Mae Brown ("Rubinrote Rita") und Renée Vivien ("Mir erschien eine Frau").

Heute um 20 Uhr in der Passionskirche, Marheinekeplatz 1.Im Anschluß Fortsetzung der Debatte im benachbarten "Locus".

KAREN FUCHS

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false