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Wolfgang und Marion Koeppen: Engel der Verdammnis

Intime Zeugnisse: Wolfgang Koeppens Briefwechsel mit seiner Frau Marion.

Als der Suhrkamp Verlag 2006 den Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und seinem Verleger Siegfried Unseld veröffentlichte, da war diese beruflich-persönliche Korrespondenz zugleich ein literarisches Ereignis. Die Briefe dokumentierten, auf beiderseits ehrgeizigem sprachlichen Niveau, das jahrzehntelang erfolglose Ringen Unselds um ein neues Groß-Werk aus der Feder des legendären Nachkriegsromanciers und die beträchtlichen rhetorischen Ausweichbewegungen seines stets anspruchsvollen Gegenübers. Und enthüllten dabei ein Labyrinth aus Fürsorge- und Abhängigkeitsverhältnissen, aus dem zeitlebens keiner der Beteiligten mehr herausfinden sollte.

Da war der Verleger, der seinen Autor schon früh mit prächtigen Vorschüssen verwöhnte und zu dessen Lebensende 1996 komplett alimentieren sollte; da war der Autor, dem der Verlag in der Hoffnung auf ein ideales Kreativitätsambiente zeitweise sogar Schreibwohnungen und Sekretärinnen spendierte und der sich an halbwegs Neuem doch nur, in der Mitte dieser über 30-jährigen Verbindung, das Fragment „Jugend“ entrang; und da war Koeppens Ehefrau Marion, deren Alkoholexzesse stets herhalten mussten, wenn der Schreiberfolg wieder mal ausgeblieben war – die geliebte Teufelin ex machina mit dem Hang zur Zimmerschlacht, die Koeppen wenigstens in den Entschuldigungsbriefen an Unseld zu literarischer Hochform inspirierte.

Immerhin, diese Briefe hatten die Lust auf die Dechiffrierung des Mythos Koeppen erneut angestachelt, weshalb nunmehr der Gang in den inneren Kreis der Ehe hölle nur folgerichtig erscheint. Erneut hat der Verlag, indem er die gesamte Korrespondenz des Paars zusammentrug, eine große editorische Anstrengung unternommen; also darf der Leser, als Philologe verkleidet, nun ausgiebig auch durch dieses Schlüsselloch blicken. Nur: Ein Dialog, einer auf Augenhöhe gar, findet nicht statt; es ist fast ausschließlich Koeppen, der in den überlieferten Briefen spricht – vom Betteln übers Beschwören bis zum ermatteten Ermahnen. Zudem fehlen erhellend werkbegleitende Interferenzen weitgehend, ebenso eine ernsthafte Auseinandersetzung Koeppens mit seinen Schreibhemmungen. Sein allzu simples Alibi dafür, die Trunksucht der Ehefrau, erscheint zwar nicht haltbar – und ist nicht, wer das eigene Schreiben verrät, ohnehin immer selber schuld? –, aber in diesen intimen Zeugnissen eröffnet sich auch keine anderweitige Spur.

Stattdessen: eine Liebe, eine Ehe, ausgeweidet für fremde Augen. Münchner Schickeria, 1944: Koeppen, der Mann aus kleinsten, prekärsten Verhältnissen, ist 37 und erfolgloser Drehbuchautor, als er sich rettungslos in das großbürgerliche Teenie-Luder Marion verliebt – in ersten Briefen zeigt er sich sogar emphatisch bereit, für die Sechzehnjährige zu zahlen und sie jederzeit zu teilen, Hauptsache, er bekommt sie, „das Kind, die Hure, die Göttin“, wie er an eine Tante schreibt. „Wenn ich sie einen Engel nenne, muss ich ihr das Attribut des Bitteren geben: Engel der Verdammnis, Engel der Hölle, Engel des Todes.“ Und irgendwie bindet er diesen süßen Engel an sich, dessen Nazi-Society-Mutter bald darauf am Alkoholmissbrauch stirbt. Doch schon in einem der frühesten Briefe an Marion, ein Jahr vor der Hochzeit 1948, tönt die Leidenschaft weitaus weniger berauscht: „Andauernd sehe ich dich besoffen und in schlechter Gesellschaft an Straßenbahnen hängen.“

Damals heißt Koeppen für Marion bereits „Kopernikus“. Sein lebenslanger Kosename steht fest, ebenso die lebenslange Mischung aus Sorge, Fürsorge und Fluchtlust, die sein Verhältnis zu Marion prägt: Psycho-Cocktail eines Ko-Abhängigen, der selbst, wenn auch maßvoller, trinkt. Die Briefe – von Auftragsreisen, aus Schreibehotels – kreisen quälend um das immer selbe Thema: Koeppen wünscht sich Marion herbei und fürchtet zugleich ihren alkoholbedingten Kontrollverlust, vertröstet sie und vertut doch meist bloß seine Zeit.

Als sie Anfang der fünfziger Jahre, er sitzt monatelang in Stuttgart an seinem Roman „Das Treibhaus“, eine lesbische Beziehung beginnt, bleibt seine Gegenwehr matt. Die Nebenbeziehung geht über zwei Jahrzehnte, und als die Geliebte in ihrem Taxi ausgeraubt und ermordet wird, ist zu Marions Alkoholsucht längst eine Tablettenabhängigkeit hinzugekommen. Koeppen versucht die Dosis zu rationieren, auch von unterwegs. So lesen sich die Botschaften der späten Jahre – „noch einmal gift für zwei tage“ – nur mehr wie Begleitschreiben in ein längst verschlossenes Universum. 1984 stirbt Marion an Leberzirrhose.

Meist wie halbblind an der Oberfläche der Ereignisse entlang tasten sich diese Hunderte von Briefen – und so sind es eher die sorgfältigen Fußnoten, die wenigen angehängten Skizzen Koeppens, das Nachwort (von Hans-Ulrich Treichel, dem Herausgeber der Werkausgabe), die diesen Band lesenswert machen; Nachsätze zum Postskriptum einer endlich ewig unbegreiflichen Vita. Als hätte der große Schweiger noch einmal Rache genommen: So viele Buchstaben stehen, der sehr privaten Geschichte entrissen, frisch gedruckt da. Und lösen sich doch unmerklich vor unseren Augen auf.

Wolfgang und

Marion Koeppen:

trotz allem, so wie du bist. Briefe. Hrsg. von Anja Ebner.

Suhrkamp 2008.

457 Seiten, 32,80 €.

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