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W.J.T. Mitchell: Sturm der Bilder

Zwei Bücher, ein Denker: die Essays des Kulturwissenschaftlers W. J. T. Mitchell beschreiben die Macht der BIlder und der Symbole.

Wir leben im visuellen Zeitalter, Bilder prägen unser Weltbild und entzweien die Gemüter, vom Nahostkonflikt über den US-Wahlkampf bis zum Karikaturenstreit. Nachdem der amerikanische Denker Richard Rorty Ende der 60er Jahre den linguistic turn ausgerufen und in der Philosophie des 20. Jahrhunderts eine sprachkritische Wende ausgemacht hatte, die in den gesamten Geisteswissenschaften dazu führte, soziale, kulturelle und psychische Sachverhalte zu lesen wie einen Text, rief W. J. T. Mitchell Mitte der 90er Jahre den pictorial turn aus. Wurden vorher Bilder wie Texte gelesen, wurden nun Texte wie Bilder betrachtet.

Mitchells Thesen haben bis heute Gültigkeit, etwa wenn er sagt, dass der Terroranschlag am 11. September auf das New Yorker World Trade Center ein Symbol der westlichen Welt vernichtete, um zugleich ein neues Symbol zu schaffen: "Der Ikonoklasmus wurde in diesem Fall selbst zu einer Ikone, einem Bild des Grauens, das sich ins Gedächtnis der ganzen Welt einbrannte."

Als eine der Referenzschriften von Mitchell kann Roland Barthes' Essay zur Fotografie "Die helle Kammer" angesehen werden. So geistvoll und anrührend zugleich Barthes die Welt in Texte zu verwandeln wusste, am Ende seines Lebens setzte er sich in diesem schönen kleinen Buch mit dem Sehen auseinander. Beim Anblick einer Fotografie, die seine verstorbene Mutter als kleines Mädchen zeigt, fühlt er eine sprachlos machende Verwundung. Dieser für Barthes ungewöhnliche Text handelt von dem, was der Tod im Leben anrichtet, wenn er eben nicht "Text" ist.

Wer Ikonen zerstört, will neue Ikonen schaffen

Der universitäre Aufstieg der visual studies in den Neunzigern verlief rasant, und Mitchell wurde einer ihrer Gurus. Nicht weil er der Organisator dieser Bilderstudien im Lehr- und Konferenzbetrieb gewesen wäre. Sondern wegen seiner quecksilbrigen Lust an wissenschaftlich geschulter Disziplinlosigkeit. Seine Denkmethode ist das mentale Herumhüpfen, und zwar eines, das sich der disziplinären Hürden, die da überhüpft - oder umgerissen - werden, vollkommen bewusst ist. Dieser Denkmethode entspricht die Form des Aufsatzes am besten.

In zwei Sammelbänden, bei Suhrkamp und bei C. H. Beck erschienen, liegen nun die wichtigsten Essays in Übersetzung vor. Da einige dieser Aufsätze in beiden Bänden vertreten sind, bietet sich in der Parallellektüre die amüsante Gelegenheit, zu sehen und zu lesen, was zwei Übersetzer aus demselben Originaltext machen können. Der Suhrkamp-Band enthält zudem ein ausführliches und instruktives Nachwort von Gustav Frank, das gut als Einleitung gelesen werden kann. Dem Band bei Beck wiederum ist ein kleines Vorwort des Kunsthistorikers Hans Belting beigegeben. Dessen Studie "Bild und Kult" wird von Mitchell öfter zitiert.

Für den interessierten Laien, der sich für die Macht und Übermacht der Bilder in der Mediengesellschaft mehr interessiert als für akademische "Turns", liegt die Attraktivität von Mitchells Denken im Versuch, "dem Leben der Bilder" zuzuschauen. Mit raffinierter Dummstellerei setzt sich Mitchell über den Einwand des Alltagsverstands hinweg, nicht die Bilder würden leben, sondern wir. Glauben wir trotz unserer vorschlauen Aufgeklärtheit insgeheim nicht doch daran, dass nicht nur wir etwas mit den Bildern, sondern auch die Bilder etwas mit uns anstellen? Dass Bilder mithin nicht nur betrachtete Objekte sind, sondern auch provozierend zurückstarrende Subjekte?

Das Ziel: Nicht die Entlarvung der Bilder, was sie mit uns tun

Wenn auch wir selbst vor lauter Aufgeklärtheit nicht daran glauben, so glauben wir doch, dass andere daran glauben: Die Fernsehpublikum-Massen zum Beispiel, die zwischen Daily Soap und Alltagssorgen angeblich nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Oder die politischen Massen, die jubelnd Bilder und Zeichen ihrer Führungsgestalten vor sich hertragen, vom Obama-Porträt bis zum Y aus roter Pappe in Hessen, das ja schnell wieder aus der Mode gekommen ist. Oder die religiösen Massen, die wütend Karikaturen des Propheten Mohammed bekämpfen, bereit, die Bilder am Leben zu rächen.

Mitchell selbst gibt sich mit dem, was offensichtlich ist, am Umgang mit Bildern, nicht zufrieden. Trotz seiner Bereitschaft, auch politisch Stellung zu nehmen, wenn er das für nötig hält, zielt sein theoretisches Interesse nicht auf Entlarvung der Bilder, sondern darauf, was sie mit uns tun und was sie von uns wollen. Seit es Bilder gibt, gibt es auch die Angst vor ihnen. Die Auseinandersetzung zwischen Bilderstürmern und Bilderverehrern durchzieht alle Kulturen. Mitchell will verstehen, was in diesen Auseinandersetzungen geschieht, ohne sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen.

Nur weil in den intellektuellen Milieus die Verachtung des Bildes weiter verbreitet ist als seine Vergötzung, hält es Mitchell im Zweifelsfall für ergiebiger, sich probehalber eher Letzterem, also der Idolatrie, zuzuneigen als dem Ikonoklasmus. Erstaunlich für jemanden, der den pictorial turn ausgerufen hat: die Ambivalenz bei der Frage, ob wir wirklich im Zeitalter einer globalen Dominanz des Visuellen und der visuellen Medien leben.

In anderen Passagen macht er sich über das allzu Offensichtliche lustig und betont, dass es so etwas wie "visuelle Medien" gar nicht gebe, da alle Medien mit Mischformen operierten, allen voran das Fernsehen und das Internet. Im World Wide Web spielt die Schrift ja wieder eine evidente Rollet.

W. J. T. Mitchell ist ein faszinierender Coach beim Nachdenken über Bilder. Nicht weil er sieht, was wir nicht sehen. Sondern weil er nicht einsieht, was wir darüber zu sagen pflegen.

W. J. T. Mitchell: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur. Vorwort von Hans Belting. Aus d. Englischen von Achim Eschbach und Mark Halawa. C. H. Beck, München 2008. 262 S., 16,95 €. - Bildtheorie. Hg. von Gustav Frank. Aus d. Engl. von Heinz Jatho. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. 497 Seiten, 32,80 €.

Bruno Preisendörfer

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