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Aller guten Dinge sind drei. Die Lyrikzeitschrift "Transistor".

© promo

Literaturzeitschriften: Suche nach dem Großen Goldkäfer

Ein Jahr "Transistor", 40 Jahre "Allmende": Das literarische Leben blüht - wenn auch im Kleinen. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Unter den 52 deutschsprachigen Literaturzeitschriften, die das Portal literaturport.de mit liebevoller Akribie auflistet und verlinkt, fehlt von „Transistor“ (noch) jede Spur. Und auch die vor einem Jahr in Berlin gegründete „Zeitschrift für zeitgenössische Lyrik“ selbst sendet im Netz kaum mehr als ein Lebenszeichen.

Saskia Warzecha, die im Frühjahr bei Matthes & Seitz mit dem Gedichtband „Approximanten“ debütierte, und ihre Mitherausgeber Alexander Kappe und David Frühauf, bieten nicht mehr als ihre Kontaktadresse (transistor@posteo.de), die Namen der Beiträger, den Preis von acht Euro und das Dossierthema der aktuellen Nummer drei: „Überraschung als poetologisches Prinzip“. Sie wollen es aber auch nicht. Die ganze Sorgfalt der drei 1987 geborenen Absolventen des Leipziger Literaturinstituts gehört den hundert Seiten des gedruckten, von Kristina Wedel mit minimalistischer Klarheit gestalteten Hefts.

Über die Nischenhaftigkeit ihres Unternehmens geben sie sich keinerlei Illusionen hin, hoffen aber zugleich, durch Exklusivität attraktiv zu sein. Nur wo Knappheit herrscht, sind Überraschungen möglich. Das gilt auch für jedes einzelne Gedicht, dem man nur zu gern eine Fähigkeit zur Verblüffung als Wesenszug attestieren würde. Literatur entsteht schließlich nur da, wo die Formeln des rein Kommunikativen durchbrochen werden.

Überraschung als Prinzip?

Doch Verblüffungseffekte haben, wie es im Editorial heißt, die Tendenz sich zu verselbstständigen: „Wird die Überraschung – ob als Mittel der Umwendung,des Unterwanderns von Erwartungen, als Spiel mit Sprachkonventionen oder als Realitätseinbruch selbst – also zum poetologischen Prinzip, handelt es sich dann überhaupt noch um das, was sie vorgibt zu sein?“

„Transistor“ erkundet dies in Theorie und vielstimmiger Praxis – unter anderem mit Gedichten von Franziska Füchsl und Christina Heidrich, Katia Sophia Ditzler und Steffen Popp sowie Essays von Christian Filips, Nancy Hünger und Ines Berwing. Alexander Weinstock zeigt in einem Versuch über „Gedichtverdacht“, den jüngsten Band der diesjährigen Büchner-Preisträgerin, der 82-jährigen Elke Erb, wie unauflöslich bei ihr poetische Äußerung und Grundlagenreflexion verschränkt sind: Die kommende Ausgabe wird ihr ganz gewidmet sein.

Zwischen Poesie und Poetologie herrscht ansonsten eine prekäre Spannung. Gute Gedichte leben nicht notwendig von einem eloquent vorgetragenen Selbstverständnis. Das hohe Ross der ästhetischen Theorie sollte aber nur satteln, wer beim Verfertigen von Versen auch gut zu Fuß ist. Nancy Hünger, die in ihrer „Sammlung unfrisierter Gedanken" die ganze Dichtungstheorie von Aristoteles bis in die Gegenwart rekapituliert, macht es sich da durch reine Abstraktion schwerer als Ines Berwing.

Schreck und Überrumpelung

Sie, die 2019 mit „muster des stillen verkabelns“ (hochroth) debütierte, denkt über die Überraschung als Schreckmoment nach – und das vor allem am Beispiel der „Hohlhandmusikalität“, Gedichten des Horrorspezialisten Georg Leß bei Kookbooks. Einblicke in die Denkwerkstätten der ständig nachwachsenden Szene liefern beide.

Mit arrivierteren Dichternamen schmückt sich die bei literaturport.de zuverlässig geführte Karlsruher „Allmende“, die trotz mehrerer Krisen nun ihr 40. Lebensjahr erreicht hat. Die von Hansgeorg Schmidt-Bergmann herausgegebene „Zeitschrift für Literatur“ (allmende-online.de) mit magazinhafter Anmutung stürzt sich in ihrer Jubiläumsnummer (Nr. 105, Mitteldeutscher Verlag, 94 Seiten, 12 €) auf jenes neue, von menschlichen Eingriffen korrumpierte Naturverständnis, das sich an den mittlerweile fest etablierten Begriff des Anthropozän knüpft.

„Die Welt neu denken“, das leisten hier in alphabetischer Reihenfolge etwa Nico Bleutge, Carolin Callies, Daniela Danz, Marion Poschmann, Monika Rinck oder Mikael Vogel. Dichter und Dichterinnen, die ihre Art der Weltwahrnehmung aber gar nicht erst ändern mussten, um sich in ein theoriegesättigtes Krisenbewusstsein zu fügen, das unter Stichworten wie climate poetry und climate fiction gerade landauf, landab zum Trend aufschwingt. Besonders reizvoll ist hier Ulrike Draesners Gedicht „Exit Großer Goldkäfer“, das in drei auch sprachlichen Schwundstufen einen Verlust anzeigt: „waldshrrlichi / liblichi / brummn – vrbi“. Den Ausgangstext kann sich jeder selber zusammenreimen.

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