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Kultur: Luftzerteiler

Bobby McFerrin zu Gast in der Berliner Philharmonie

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Von Hans Werner Henze stammt das schöne, etwas spitze Wort vom Dirigenten als „Luftzerteiler“, und Bobby McFerrin – mit graumelierten Rasterzöpfen und schlappenweichen Schuhchen ganz Guru – scheint viel daran gelegen, diesem Bild zu entsprechen. Mal wedelt er selig lächelnd und durchaus im Takt mit den Armen von links nach rechts und von rechts nach links, mal übt er sich selig lächelnd im Handauflegen, mal – etwa im Saltarello-Finale von Mendelssohns „Italienischer“ Symphonie – setzt er selig lächelnd zur beidhändigen Rückhand an: Ein Esoteriker des Taktstocks, ein Aquarellist der Klänge, dem es, positiv formuliert, vorrangig darum zu tun ist, die Musik für sich selbst sprechen zu lassen. Eine sympathische Illusion.

Dass Dirigieren jenseits einiger gutgelaunter Impulse und Streicheleinheiten auch etwas mit offensivem Gestalten zu tun hat, mit Autorität, das haben seine Lehrer – zu denen immerhin Leonard Bernstein gehörte – Bobby McFerrin offensichtlich nicht nahebringen können. Vielleicht ist dem Amerikaner (den man bis heute zu seinem Leidwesen mit seinem Welthit „Don’t worry, be happy“ identifiziert) dank seiner überbordenden Musikalität, seiner untrüglichen Lust am Augenblick ein derart machtbesetzter, regressiver Kunstbegriff schlicht fremd geblieben. In der Philharmonie jedenfalls erwies sich sein Zugriff aufs klassische Repertoire als nett, aber wenig fruchtbar.

Weder Mozarts frühe Symphonie in G-Dur KV 45a (die sogenannte Alte Lambacher) noch der Mendelssohn gingen über eine gewisse Flockigkeit hinaus, und das Münchner Rundfunkorchester hing erschreckend matt und müde in den Stühlen. Ob die Musiker von der vielfach selbständig zu leistenden Koordinationsarbeit überfordert waren, oder McFerrin sich weder um dramaturgische Spannungskurven noch um harmonische Reibungsflächen sonderlich scherte: Bis auf ein paar hübsche Farbkleckse in Ravels „Tombeau de Couperin“ war da nichts.

Überhaupt wurde man den Verdacht der Rattenfängerei nicht ganz los: Sinfonische Durchschnittskost um den Preis einiger zugegebenermaßen stupender Bobbyscher Stimmkunststücke? Wie McFerrin die aberwitzigsten Lautgeburten durch seinen Körper jagt, vom E-Bass bis zum perfekt imitierten Opern-Duett, wie er das eigene Brustbein zur Percussiongruppe erklärt und noch auf dem Mikro fingerpantomimisch Flöte spielt, das hat umwerfenden Charme. Und Humor. Fröhliche Ovationen. So etwas wie Klassik hat dieser Mann gar nicht nötig. Und Mozart und Mendelssohn brauchen ihn nicht.

Christine Lemke-Matwey

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