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© Marcus Lieberenz

Berliner Ensemble: Manege frei für Peymanns Peepshow

Claus Peymann inszeniert die "Trilogie der Ferienzeit“ von Carlo Goldoni am Berliner Ensemble. Dieser Abend aber wagt sich tief ins Lüstern-Unappetitliche hinein.

Klappern gehört – besonders bei Claus Peymann – zum Handwerk. Dass der Regisseur und Intendant des Berliner Ensembles vor jeder Inszenierung in Interviews über Kollegen oder Politik Auskunft gibt und sein eigenes Theater dabei auf den Olymp hebt, gehört seit einem Jahrzehnt zu den liebgewonnenen Ritualen der Berliner Kulturfolklore. Dabei werden Peymanns verbale Vorstöße umso greller, je weniger seine Theaterkunst ernst genommen wird. Erwartungsgemäß hat Peymann also auch vor seiner neusten Arbeit gesprochen und in der „Berliner Morgenpost“ etwas zum gezeigten Stück gesagt, zu Carlo Goldonis „Trilogie der Schönen Ferienzeit“ aus dem Jahr 1761, in der es um eine Gesellschaft gehe, „die auf Pump lebt, alle sind bankrott, alles kracht zusammen – das kommt mir alles sehr aktuell vor. Eine Gesellschaft, die das Glück sucht und das Unglück findet.“

Aber auch andere Bühnen bekommen ihr Fett weg: „Die sogenannte Moderne, die in den letzten Jahren das Theater in Berlin beherrscht hat, hat abgewirtschaftet. Das Trallala, das Fragmentarisieren ist vorbei, die Zeit der Drehbuchdramatisierungen und Romanbearbeitungen liegt in den letzten Zuckungen.“ Vor allem aber rechnet Peymann mit den deutschsprachigen Autoren und ihren läppischen Stücken ab: „Die reine Flucht ins Private. Es ist immer das Problem, das die Autoren mit ihrer Großmutter haben oder dem Papi oder ihrem Pimmel.“

Apropos Pimmel: Willkommen im neuen Theaterabend von Claus Peymann. Die Veranstaltung ist noch keine Minute alt, da wird im prunkvoll angedeuteten Salon, den Karl-Ernst Herrmann auf die Bühne des BE fantasiert hat, schwungvoll eine Tür aufgerissen, und es prescht Lucas Prisor als frisch geduschter Leonardo unters Licht des Kronleuchters. Und zwar nackt. Während er seinen Diener Paolo (Martin Schneider) anherrscht, rubbelt er mit einem schmalen Handtuch notdürftig an sich herum, schmeißt das Läppchen dann weg und macht – mit baumelndem Gemächt – ein paar Liegestützen, bevor ihm Paolo die Glitzerkleider anreicht und die beiden aufgekratzt besprechen, was alles bis zum Aufbruch in die Sommerfrische noch zu erledigen sei.

Zwischenfrage: Ist diese, den Schauspieler demütigende Nacktszene nötig? Hat sie etwas mit der Charakterisierung der Figur zu tun oder wirft sie gar ein erhellendes Licht auf die dekadente Gesellschaft von damals oder die Zustände von heute? Natürlich nicht. Sie ist absolut überflüssig und allein Peymanns persönlichen Obsessionen geschuldet.

Es stimmt: Irgendwie ist Goldonis „Trilogie der schönen Ferienzeit“ aktuell. Dekadente junge Menschen leben über ihre Verhältnisse, fliehen in die Sommerfrische, um dort Beziehungen anzuzetteln oder zu intensivieren, deren Nutzen vor allem finanzieller Natur ist. Man tanzt auf dem Vulkan, bis der Gerichtsvollzieher den Tanzsaal pfändet und der Kater des Bankrotts einsetzt.

Mit der Stückwahl endet die Aktualität allerdings schon. Selten ist ein Vorwurf, den Peymann mit ausholender Geste in die Öffentlichkeit geschleudert hat, so schnell an den Kopf des Werfers zurückgeschnellt. Viereinhalb Stunden sitzt der Zuschauer in einer erlesen ausgestatteten Altherrenfantasie, gewissermaßen in Peymanns persönlicher Peepshow. Dass Peymann immer genüsslicher blutjunge Schauspieler und Schauspielerinnen besetzt, lässt sich schon länger beobachten. Dieser Abend aber wagt sich tief ins Lüstern-Unappetitliche hinein. Dabei müssen keine Genitalien mehr entblößt werden, allein die Körpersprache, mit der die jungen Schauspieler auf die Klamauktube drücken, hat etwas Pornografisches, nicht zu reden von der dauererregten Stimmlage.

Katharina Susewind als Giacinta, die dem einen Schnösel versprochen ist, aber den anderen liebt, und Marina Senckel als ihre Gegenspielerin Victoria müssen eine überdrehte Barbieversion des Jungseins aus sich herausquetschen. Brust und Popo raus und die nackten Füße immer so gesetzt, dass sich bei jedem Schritt die Gesäßhälften lecker unter dem eng anliegenden Aerobic-Dress abzeichnen. Aber auch die Männer müssen zeigen, was sie haben: Die Kostümbildnerin Wicke Naujoks hat Christopher Nell als Gesellschaftsschmarotzer Ferdinando eine hautenge Lederhose und ein extramanieriertes Jackett mit weibisch gepufften Ärmeln verpasst. Sehr unterleibsbetont stakst dieser Ferdinando auf der Suche nach einem weiblichen Mäzen durch die Salons und wühlt, als er die – wie es in der Textbearbeitung von Jutta Ferbers und Hermann Beil heißt – „rattenscharfe“ Sabina an der Angel hat, recht ruppig im Dekolleté von Carmen-Maja Antoni herum.

Die große Carmen-Maja Antoni und Corinna Kirchhoff als schlangenfalsche Tante Costanza: Was machen die beiden überhaupt in Peymanns Manege der Hemmungslosigkeit? Mit bewunderungswürdiger Fassung erinnern sie daran, wie ein Theater aussehen könnte, das diesen Namen verdient. Antoni spielt präzise die Klischeenuancen der liebeshungrigen alten Reichen aus. Und Kirchhoff rettet sich mit einem wissenden Lachen des Wahnsinns durch ihre wenigen Auftritte.

Wieder am 27. Dezember sowie am 20., 24. und 29. Januar.

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