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Kultur: Mehr Liebe, bitte

Verführer mit Kieselsteinstimme: Soulstar Barry White ist tot

In der Sechzigerjahren wurde der Soul symphonisch. Die schwarze Musik des amerikanischen Südens kam aus Kaschemmen und Hinterzimmern, nun drängte sie in die Konzertsäle. Die Tempel der Hochkultur sollten nicht länger allein den toten weißen Komponisten von Beethoven bis Strawinsky gehören, der Trend zum orchestralen Bombast war ein Akt der politischen Emanzipation. Ray Charles fand schon 1961, dass es Zeit sei „mit dem Träumen aufzuhören und mit dem Handeln zu beginnen“. Er gründete eine Bigband und nahm später Countrysongs mit Streichern auf. Ohne Streicher wären die Tanzmusiken der Siebzigerjahre, Phillysond und Disco, undenkbar gewesen. Vor allem ein Mann machte den mitunter zuckerwattensüßen Breitwandsound populär: Barry White. 1969 stellte er das weibliche Vokaltrio „Love Unlimited“ zur Backgroundverstärkung seiner Platten zusammen, kurz danach hob er das vierzigköpfige „Love Unlimited Orchestra“ aus der Taufe. Whites Hits hießen „You’re The First, The Last, My Everything“, „Can’t Get Enough Of Your Love, Baby“ oder „What Am I Gonna Do With You“, und das samtige Schwelgen der Streicher war ideal, um seinen grummelnden Bariton zum Strahlen zu bringen.

„Arranged & Conducted by Barry White“, steht stolz auf dem Cover von „Rhapsody In White“, dem überkandidelten Album-Meisterwerk des Love Unlimited Orchestras aus dem Jahr 1973. Die Platte enthält ausschließlich Instrumentalstücke, darunter den Superhit „Love’s Theme“, aber bei einem Stück taucht die Verführerstimme des „Love Man“ kurz aus dem Gezischel der Hi-Hats und dem Säuseln der Bläser auf. „Midnight seems nice to me / There’s no place in this world where I want to be than here / With midnight and you / Right on, baby, right on.“ „Baby“ ist in den in schlichten Halbsätzen mäandernden Texten des „Maestros“ ein häufig vorkommender Begriff, nur noch übertroffen von dem Wort „Love“, das hier seltsamerweise fehlt. Im Grunde hat Barry White nichts weiter getan, als ein einziges Lied immer wieder neu zu schreiben. Seine Songs folgen dem stets gleichen Bauplan – verlangsamte Soul-Rhythmen von hypnotischer Wucht, triumphierende Geigen und die kurzatmig brummende Kieselsteinstimme des Vollbartträgers, die von dem singt, was die Frauen hören wollen: ewige Liebe.

In der Disco-Ära erreichte White den Zenith seines Erfolgs. Er kassierte 50000 Mark für jeden Auftritt, bis 1979 hatte er 103 Goldene Schallplatten und 38 Platin-Auszeichnungen eingeheimst. Seine Version von Billy Joels Liebeshymne „Just The Way You Are“ war der vorerst letzte Hit, dann kam der Absturz. „Ich habe darauf verzichtet, ein schwer reicher Mann zu werden und mich lieber für acht eigene Kinder entschieden“, sagte White später über die Jahre, in denen er kaum noch Platten verkaufte. Das Comeback gelang kurz vor der Jahrtausendwende, als seine Schmusehits zum Soundtrack für die Fernsehserie „Ally McBeal“ wurden und die Produzenten den Sänger für einige Gastauftritte vor die Kamera holten. White nahm ein neues Album auf, das „Staying Power“ hieß, und schrieb seine Autobiografie „Insights On Life And Love“.

Geboren wurde White 1944 in Texas, er sang im Gospelchor und wuchs in South Central Los Angeles auf. Als Mitglied einer Ghetto-Bande kam er mit 16 für sieben Monate ins Gefängnis, als er aus der Nebenzelle „It’s Now Or Never“ von Elvis hörte, beschloss er – so die Legende – künftig ein gesetzestreues Leben zu führen. Er fing als Tourmanager an, gründete die Band „Majestics“ und arrangierte für Bob & Earl den „Harlem Shuffle“. Bis zuletzt bekam Barry White Dankesbriefe von Menschen, die versicherten, dass sie zu seiner Musik Kinder gezeugt hätten. Am Freitag ist er mit 58 Jahren in Los Angeles an Nierenversagen gestorben.

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