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Anonyme Missetäter. Trolle stiften Unruhe im Netz.

© KACPER PEMPEL / REUTERS

Michal Hvoreckýs Roman „Troll“: Im Herzen der Hate-Fabrik

Realität und Fake-Industrie sind verdammt schnell: Michal Hvorecký widmet sich in seinem brisanten Roman „Troll“ digitaler Hetze.

"Die Wahrheit wird immer mehr durch Nutzen und Interessen ersetzt, durch den Willen zur Macht“ – dieser Satz, den Michal Hvorecký einem Kapitel seines dystopischen Romans „Troll“ voranstellt, könnte gut und gerne aus dem Mund eines aktuellen Netzkritikers stammen, von Evgeny Morozov oder Jaron Lanier. Tatsächlich hat ihn der russische Philosoph Nikolai Berdjajew im Jahr 1948 niedergeschrieben, lange bevor es das Internet gab.

Immer wieder zieht Hvorecký in seinem neuen Roman direkte Linien zwischen düsterer Vergangenheit und mindestens ebenso düsterer Zukunft, zwischen staatlich gesteuerter Sowjetpropaganda und den weniger greifbaren, aber nicht minder wirksamen Internet-Hetzkampagnen unserer Gegenwart. „Troll“ setzt ein in der Kindheit des Ich-Erzählers, als dessen kleines osteuropäisches Heimatland – die Slowakei ist unschwer darin zu erkennen – noch von wenigen oligarchischen Familien beherrscht wird, die auf klassische (analoge) Repressionsmaßnahmen zurückgreifen. Seine Eltern sind vehemente Impfgegner, und so landet Hvoreckýs Hauptfigur als Jugendlicher nach einer Masernepidemie für fünf Jahre im Krankenhaus – wo es zwar weder Ärzte noch Medikamente, dafür aber eine Schar selbst ernannter Wunderheiler gibt. In diesem kafkaesken Setting lernt der einsame, übergewichtige Junge Johanna kennen, die mit 22 bereits eine beeindruckende Drogenkarriere hinter sich hat. Liest sich das Buch bis hierhin wie eine zwar amüsante, aber auch etwas beliebige Groteske über Esoterikwahn und marode Gesundheitssysteme, nimmt die Geschichte nun Fahrt auf: Das Außenseiter-Gespann entwickelt den wahnwitzigen Plan, den seit dem politischen Umsturz tobenden „Informationskrieg“ von innen heraus zu zerschlagen. Die alten Führer sind abgesetzt; nun regieren Korruption, Kommerz und Fake News das Land und das Netz.

Nach ihrer Entlassung schleusen sich beide als Undercover-Trolle in eine der vielen Hate-Fabriken ein, die das neu gegründete „Reich“ in seinen Satellitenstaaten betreibt. Die Allianzen sind dabei verworren, oder schlicht egal: Ihr Chef liebt Verschwörungstheorien und biedert sich extremen Positionen jeglicher Couleur an. So gelingt es ihm, so ziemlich alle für sich zu gewinnen, die unzufrieden sind oder einfach gern provozieren: Neonazis, Homo-Hasser, gelangweilte Hausfrauen, Mitglieder des „Instituts der Ungeborenen Kinder“, Naturheilkundler.

Während der Entstehung von der Realität überholt

„Eine Weile werden wir so sein wie sie, um zu zeigen, dass wir nicht so sind wie sie“, lautet Johannas Devise. Schon bald jedoch jongliert das Duo mit je 30 verschiedenen Troll-Persönlichkeiten, die sich, während sie antisemitischen, rassistischen und homophoben Hass im Netz versprühen, allmählich zu verselbstständigen drohen. Unabhängige Presseorgane gibt es kaum noch – und so kann der Ich-Erzähler irgendwann nicht mehr zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden, misstraut allem und jedem, und verwandelt sich langsam, aber sicher in einen jener Paranoiker, die Trollen wie ihm am leichtesten ins Netz gehen.

Etwas halbherzig schlingert Hvoreckýs Roman streckenweise zwischen Parodie und Reportage; seine Einblicke in die Mechanismen des Trolling sind allerdings erschreckend aktuell. Zuletzt konnte man die verheerenden Auswirkungen im US-Wahlkampf 2016 und beim Brexit-Referendum 2017 beobachten. Damit gehört „Troll“ zu jenen brisanten Science-Fiction-Romanen, die während ihrer Entstehung von der Realität überholt werden.

Blutleere Story

Mit seinen Verweisen auf bedeutende Werke der sowjetischen Phantastik (Johanna ist ein großer Fan dieses Genres) tut sich der Autor indes keinen Gefallen. Zwar geben etwa die Dystopien der Brüder Strugazki oder Alexei Tolstois „Aelita“ mit ihrem sozialkritischem Anspruch einen Ton vor, den auch „Troll“ anschlägt – sind aber auch eine enorme Fallhöhe.

Literarisch kann Hvorecký mit diesen Vorbildern nicht mithalten; zu blutleer wirkt seine Story, zu wenig ausgearbeitet seine Charaktere. Die Grundaussagen des Romans stecken bereits in den vorangestellten Zitaten aus Sowjetzeiten, kombiniert mit wohlbekannten Aussagen über digitale Echokammern, die er seinen Figuren in den Mund legt: „Jeder weitere Like festigt ihre Voreingenommenheit mir gegenüber, treibt sie zuhauf in Gruppen Gleichgesinnter hinein und versorgt sie mit dem Geschwätz, das sie sich gewünscht haben.“ So richtig das ist – in einem netzkritischen Essay wären solche Statements besser aufgehoben. „Ideen musste man verbreiten, nicht haben“, kommentiert der Ich-Erzähler zynisch seine bedarfsgerechte Zusammenstellung digital verfügbarer Zitate aus mehreren Jahrhunderten. Diese Kritik ließe sich durchaus auf den Roman anwenden.

Diffamierung und Verleumdung

Dennoch: Hoffentlich finden Hvoreckýs düstere Prognosen Verbreitung, beleuchten sie doch ein virulentes Problem nicht nur in den ehemaligen Ostblockstaaten, sondern in der gesamten Netzwelt.

Der russische Philosoph Berdjajew verfasste seine Traktate im Exil; 1922 war er wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der Sowjetideologie des Landes verwiesen worden. Heutzutage ist nicht mehr Verbannung, sondern öffentliche Diffamierung und Verleumdung das Mittel der Wahl, um wahrheitsliebende Intellektuelle mundtot zu machen. Manch einer lässt dabei sogar sein Leben – wie der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciak, der im Februar dieses Jahres von Unbekannten in seiner Wohnung erschossen wurde. Auch Hvorecký war bereits mehrmals Opfer digitaler Hetzkampagnen. Aus dieser Perspektive lässt sich „Troll“ als Hilferuf und nicht zuletzt als Warnung verstehen.

Michal Hvorecký: Troll. Roman. Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch. Tropen Verlag, Stuttgart 2018, 216 Seiten, 18 €.

Anja Kümmel

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