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Kultur: Mickey’s Mäuse

Einmal Thesen-Menü, bitte: Richard Linklaters „Fast Food Nation“ packt sich viel aufs Tablett

Im Rückblick auf „Before Sunrise“ hat Richard Linklater einmal schön gesagt, manche Filme würden sich der Hand ihres Regisseurs entwinden, wollten allein laufen, seien mehr als die Absichten, mit denen sie anfangs verbunden waren. Linklater selber hat oft bewiesen, wie frei solche Werke abheben können, wenn der Regisseur klug und raffiniert loszulassen versteht. Das Arbeitsprinzip kann aber auch geradewegs in den Absturz führen.

Auch „Fast Food Nation“ geht auf vielen Wegen ein paar Schritte voran, um es sich urplötzlich, zurück auf Los, immer wieder anders zu überlegen. Don Henderson (Greg Kinnear) ist Manager der Fast-Food-Kette Mickey’s. Er hat den Marken-Hit „The Big One“ erfunden: Dank seiner Fantasie und den Speziallaboren seines Arbeitgebers wurde ein Geschmacks- und Volumenwunder in der Hackfleisch-Welt kreiert. Allerdings befinden sich, wie ein unabhängiges Lebensmittellabor parallel feststellt, überdurchschnittlich viele Kolibakterien in den Buletten. Verständlicher formuliert: Das Fleisch ist voll Scheiße.

Schlecht für die Bilanzen, wenn das rauskommt – und vor allem, wenn womöglich Kinder am „Big One“ sterben sollten. Schwupps, begibt sich der vom Karrieristen gewandelte Aufklärer nach Colorado, wo der Rohstoff für die Bratlinge herkommt, um dort den Skandal zu recherchieren. Doch in Cody, Colorado, einem erfundenen Zentrum der Rinderzucht, löst sich „Fast Food Nation“ abseits der Untersuchung des Fleischskandals schnell in verschiedene Stränge auf. Erstens geht es um die Lebensbedingungen mexikanischer Arbeitsemigranten (gespielt unter anderem von Catalina Sandino Moreno). Zweitens um den jugendlichen Zorn einer Umweltaktivisten-Gruppe (mit Avril Lavigne in einer hübsch kuriosen Rolle). Und drittens um die desolate Existenz einer Schülerin (Ashley Johnson), die in ihrer Freizeit hinterm Mickey’s-Tresen jobbt.

„Fast Food Nation“ will so spannend sein wie ein Thriller à la John Grisham oder Tom Clancy, sucht aber auch immer wieder den differenzierten, ja engagierten filmischen Diskurs. Diese permanente Verbeugung vor zwei inkompatiblen Zielen lässt Linklaters Film völlig außer Atem geraten, ja, entzieht ihm auf geradezu tragische Weise die Energie. Und in der Mitte verschwindet auch noch der wackere Don Henderson rückstandsfrei aus der Geschichte.

All das müsste nicht weiter schlimm sein. Regisseure von Robert Altman bis Wong Kar-Wai sind in ihren Filmen in Sachen Zerlegung bündigen Story-Tellings oft erheblich weiter gegangen. Nur haben sie den disparaten Partikeln ihrer Filme ihr Eigenleben gelassen. Linklater dagegen zwingt sie zu Belegstücken seiner Hauptstory namens Hackfleischskandal. Und bald riecht der Film, mit Verlaub, so streng wie sein Gegenstand.

Dem Spielfilm „Fast Food Nation“ liegt eine Non-Fiction-Untersuchung des amerikanischen Journalisten Eric Schlosser zugrunde. Das Faszinierende daran: Schlosser widmet sich den Abgründen des Normalbetriebs, nicht dem Störfall. Linklater dagegen folgt dem dramaturgischen Konsens des MainstreamFilms, wonach erst der Störfall die Story interessant und erzählenswert macht. So werden unter der Peitsche des Alarmismus die Ereignisse ihrem Ende entgegengetrieben: Der mexikanische Arbeiter Raul (Wilmer Valderrama) wird zum Invaliden, die Schülerin erfährt durch die Kneipenunterhaltung mit ihrem Aussteiger-Onkel (Ethan Hawke) eine umfassende Politisierung, und auch die bigotten Bestimmungen um Drogen am Arbeitsplatz werden kurz angepiekst. Alles echt ernst und wichtig sowieso!

So gerät „Fast Food Nation“ ebenso ereignisreich wie erfahrungsarm: ein Thesenfilm, der auf Entsetzen, Zorn und Frustration setzt. Mehr als die Funktion eines ästhetischen Reflexes auf den nächstbesten Gammelfleischskandal dürfte ihm nicht beschieden sein.

Broadway, Cinemaxx Potsdamer Platz, FT Friedrichshain, Kant; OmU im fsk und in den Hackeschen Höfen

Ralph Eue

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