
© Benno Romik
Mirko Bonnés Roman „Alle ungezählten Sterne“: Zur Not den Fernsehturm sprengen
Postpandemische Mischung: Der Hamburger Schriftsteller Mirko Bonné hat mit seinem neuen Buch eine kundige Mischung aus temporeichem Politthriller, Hamburg Gothic und existenzieller Parabel geschrieben.
Stand:
Kaum ein Autor seiner Generation ist derart geschickt und wendig im Umgang mit der Formtradition sowohl in Vers und Prosa wie Mirko Bonné. Der neueste Roman des Hamburger Dichters nimmt den Stoff des völlig immanent denkenden und handelnden Machers wieder auf, den zuletzt Max Frisch in „Homo Faber“ verarbeitet hat.
Anders als Walter Faber leidet „Dr. Benno Romik, pensionierter Brückenbaukommissar der Stadt Hamburg“ auf ausgesucht reflektierte Weise. Von der bewusst technizistischen Diktion Frischs entfernt sich Bonnés Ingenieur: „Ich werde diese Seiten, die sich fortwährend mit Abschweifungen, Ausflüchten und unbeabsichtigten (ja ungewollten) Entdeckungen füllen, künftig nicht mehr als Bericht bezeichnen. Der Versuch einer exakten Schilderung ist fehlgeschlagen […]. Ich schildere nicht länger (Befreiung), sondern ich zeichne auf und erzähle [...]“ Die zunächst um Nüchternheit bemühte, dabei sich stets in die nächste Grübelei hochschraubende Erzählerstimme ist anfangs gewöhnungsbedürftig, man mag sich den Spleens dieses Erzzweiflers aber bereits nach kurzer Zeit anvertrauen. Das Uneins-Sein schreitet die volle Länge der Erzählung aus, die Zahl der Veranschaulichungen dafür ist Legion, gleichzeitig bringt Romik seine Verachtung für Poesie wenig gehaltvoll zum Ausdruck: „Ich weiß, dass ich Poesie vor mir habe, wenn ich nichts verstehe“.
Romiks Counterpart ist Hollie Magenta, eine Politikaktivistin adeliger Herkunft, der Romik nach einem missglückten Anschlag spontan Unterschlupf und medizinische Hilfe gewährt. Ob die durch die Mitteilung ihres Sterbedatums labile Figur Romik endgültig implodieren oder alles aufs Spiel setzen wird, bleibt bis zum Finale in der Schwebe; Hollie jedenfalls verlässt den Kadergehorsam der „Zertrümmerfrauen“, will das aber als Einlösung ihres anarchischen Ideals verstanden wissen.
Historischer Hallraum
Bonné legt in historischen Hallräumen (´Feuersturm´, ´Deutscher Herbst´ bis hin zu den G20-Krawallen) einen Generationenkonflikt an. Dieser wird zumeist durch erlebte Rede Romiks vermittelt: „Hollie nannte mich (je nach Stimmung oder Explosionspotenzial des Gesprächs) Benno Goodman, […] Sesostron oder einfach (und meistens) alter Mann.“.
Sosehr dieser Slang nerven mag, der Autor zeichnet die Aktivistinnen stark; im Gegensatz zum bildungshubernden Ingenieur haben sie Celans „Atemwende“ gelesen, wenn auch im Sinne splitterlinker Opfermystik missdeutet; so blindlings sie agieren, so resolut sind sie: „Wir sprengen zur Not auch den Fernsehturm in die Luft.“ Romik dagegen weiß nicht einmal, ob er richtig gelebt oder nicht doch sich und allen ringsum, vor allem seiner Tochter Vivien, vielleicht nur Unglück gebracht hat.
„Alle ungezählten Sterne“ dürfte nicht nur der Roman mit den meisten Parenthesen sein. Es handelt sich um ein Meisterwerk im Fach Gesellschaftsprosa, dessen Leitmotive (Aufwachen, Brücke, Maske) kaum zu einem passenderen Zeitpunkt durchgespielt werden können. Mirko Bonné zeigt sich als kundiger Mischer von temporeichem Politthriller, Hamburg Gothic und existenzieller Parabel.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: