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Joel Roters, Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti sind International Music.

© Harriet Meyer

Neues Album von International Music: Mit der Achterbahn nach Düsseldorf

Zwischen schwermütiger Schönheit, Dada und Opulenz: Die Essener Indierock-Band International Music beglückt mit ihrem zweiten Album „Ententraum“.

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International Music haben von Beginn an eine Sache richtig gemacht: Sie klangen nie wie eine Tocotronic-Coverband. Und das, obwohl sie Musik mit Gitarren machen, größtenteils auf Deutsch texten und mit Wörtern umgehen können.

Stattdessen hörte sich das Trio aus Essen gleichzeitig wie alles an und wie nichts anderes. Eigensinnig, irgendwie doppelzüngig, schwer festzunageln, ein bisschen verwegen. Zusammengesetzt aus zwei mehr als passablen Musikern und einem wunderbar unfachmännisch spielenden Drummer, der eigentlich Maler ist.

Mit einem Sound, der über weite Strecken so wirkte, als hätten sich The Jesus and Mary Chain 1984 in Wattenscheid gegründet und das Ende des Bergbaus vertont. Oder The Velvet Underground das klebrige Kirschholzfurnier einer Pilstheke in Duisburg-Meiderich studiert, statt mit Andy Warhol abzuhängen. Ohne das alles jedoch jemals zu ernst zu nehmen.

Richtig, so eine Band hatte Pop-Deutschland dringend nötig. Anfang 2018, als International Music ihr Debütalbum „Die besten Jahre“ veröffentlichten, sah es hierzulande nämlich flächendeckend ziemlich trist aus, was Pop mit Gitarren anging. Tocotronic und Konsorten machten weiter ihr Ding, was für sich genommen okay ist. Aber eben auch schon seit 25 Jahren.

Ansonsten schöpften Gruppen wie Isolation Berlin mit dem großen Löffel aus dem Pathos-und-Verzweiflung-Topf, Annenmaykantereit arbeiteten sich an „handgemachtem" Bauchnabel-Pop für zukünftige CDU- Wähler:innen ab. Und im Radio predigten die Marks und Tims und Johannes zu allerhand Popakademie-Brimborium in der Tonlage eines beseelten Hilfspfarrers. Wichtig war: Alles sollte möglichst „authentisch“ sein, die Echtheit am besten aus jedem Ton quillen.

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International Music setzten dem sparsames Songwriting mit ausreichend Sicherheitsabstand zur Hymnenhaftigkeit und phrasenfreie Sprache entgegen, die alles sein wollte, aber nicht „authentisch“. Sondern collagiert aus kontextlosen Versatzstücken ohne Anfang und Ende, freigeschaufelt aus Alltagsszenen. Irgendwo zwischen Kalenderspruch („Cool bleiben“), Standgas-Philosophie von dem Typen am Spielautomaten („Warum krieg’ ich es immer so, wie ich es bestellt hab?“) und Helge Schneider mit melancholischem Herzen („Knie kaputt, Frisur ist scheiße / Die besten Jahre sind vorbei“).

Spröde, opulent und schön zugleich

Seither sind allerdings ein paar Jahre vergangen. Und ein paar Dinge passiert. Zwei Trio-Mitglieder – Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti – haben mit ihrem Zweitprojekt The Düsseldorf Düsterboys ihr Debüt mit dem Titel „Nenn mich Musik“ veröffentlicht und sich darauf nachtschattigem Lo-Fi-Folk gewidmet. Aber weiterhin die Frage offengelassen, die seit „Die besten Jahre“ über allem schwebte, was sie anpackten: Geht das ein zweites Mal? Oder war dieses kleine Meisterwerk ein glücklicher Zufall, geschuldet der passenden Konstellation von Raum, Zeit und Stunden in der Kneipe?

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Das am Freitag erscheinende Album „Ententraum“ (Staatsakt) gibt darauf eine klare Antwort: ja, das geht. Denn zumindest auf den ersten Blick ist alles beim alten in Essen. International Music klingen weiterhin nach mindestens zehn Einflüssen gleichzeitig, wie eine Mixtur aus so ziemlich allem, was mal an einer Gitarre richtig gemacht wurde. Die brüchige Schönheit von Galaxie 500 ist ebenso zu finden wie die Klangwogen von Spacemen 3. Die samtige Opulenz der Chameleons neben der spröden Avantgarde von Trio, der Querköpfigkeit eines Michael Rother und dem kompositorischem Zucker eines Paul McCartney. Um nur einige Beispiele zu nennen.

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Garniert mit Lyrik, die faktisch kaum einen Sinn ergibt, die man aber immer versteht. Weil sie jenseits von Storytelling auf suggestiver Ebene funktioniert. Und überzogen ist mit einer süßen, schwer zu benennenden Melancholie, wie es sie nur an jenen Orten gibt, an denen industrielle Lebensadern zu Freizeitparks umgebaut werden.

Was keineswegs bedeuten soll, die Band hätte sich in den vergangenen drei Jahren nicht weiterentwickelt. Im Gegenteil. „Ententraum“ ist anders als sein Vorgänger, in vielerlei Hinsicht ein zweites Album. Das leicht Ungestüme, das „Die besten Jahre“ ausmachte, wirkt sanft begradigt, die Ecken und Kanten mit einem dünnen Stoßschutz besetzt. Echte Ausbrüche, hohe Gitarrenwände und schallenden Lärm gibt es kaum noch.

["Ententraum" von International Music erscheint am 23.4. bei Staatsakt]

Dafür aber allerhand gereiftes Songwriting. Der Opener „Fürst von Metternich“ klingt zwar noch wie ein Outtake der Düsseldorf Düsterboys samt Dudelsack oder einem anderen Instrument, für das sich Musikwissenschaftler:innen interessieren. Doch schon „Wassermann“ überrascht mit dem Aufbau einer kleinen Rockoper inklusive Beach-Boys-Chorälen und einem Mittelteil, der klingt als hätten sich Queen beim Proben in der Tür geirrt und plötzlich eine Lo-Fi-Platte aufgenommen.

Das knappe „Spiel Bass“ hingegen gleicht der Gebrauchsanweisung für ein dadaistisches Bandprojekt, das deutsch- englische „Misery“ bettet bittersüße Melancholie auf eine fußkrank swingende Basslinie und Da-da-da-Chöre, „Raus ausm Zoo“ hätte auch ein veritabler NDW-Hit werden können und hat einen der besten Refrains der letzten Zeit zu bieten: „Ich nehm’ die Achterbahn nach Düsseldorf / Und meine Frau nach Paris / Der Schnellzug bringt mich nach Krakau / Und meine Laune ist mies.“

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Am hellsten scheint „Ententraum“ allerdings, wenn International Music einen Gang zurückschalten. Etwa in Songs wie „Immer mehr“, „Dschungel“ oder „Erosion Korosion“, herrlich schwermütigen slow jams, in denen die Band eine Qualität offenbart, die man so noch nicht von ihr kannte: Keine Pointen, kein doppelter Boden, nichts als schlichte Schönheit, die hierzulande nur die wenigsten so hinbekommen.

Und dann kommt plötzlich die nächste Nummer, „Ententraum“, der Titelsong. Was zum Teufel? Trio-Beat, Gitarren-Noise, eine nasale Stimme wie ein Komiker aus den 1920ern, ein Text, lose angelehnt an einen Sketch von Karl Valentin: „Ich bin eine kleine Ente / Und ich gehe jetzt nach Hause / Flapp, flapp, flapp.“ Und weiter: „Ich möchte diesen Moment nutzen, um mich zu bedanken / Bei den Kaulquappen im Teich.“

Okay, eigensinnig, irgendwie doppelzüngig, schwer festzunageln ist sie eben, diese Band. Und das ist im Jahr 2021 mindestens so wichtig wie 2018. Wir bedanken uns auch.

Dennis Pohl

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