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Pekka Kuusisto spielte das Violinkonzert von Adès

© Foto: Stephan Rabold

Musikfest Berlin 2022: Du kannst mich mal modern haben

Ein herausfordernder Abend bei den Berliner Philharmonikern mit dem Geiger Pekka Kuusisto und dem dirigierenden Komponisten Thomas Adès

Von Frederik Hanssen

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Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als Leute entrüstet die Aufführung verließen, wenn Avantgarde-Sinfonik erklang? Heute, da alle Tabus längst ausgereizt sind, läuft das anders: Das Publikum erduldet – oder genießt! – jede Form von Provokation widerstandslos.

So wie am Samstag beim Musikfest in der gut besuchten Philharmonie: Bei Gerald Barrys „Chevaux-de-frise“ werden 17 Minuten lang abstrakt-atonale Klangballungen in den Saal gebratzt, fast durchweg im Fortissimo, ohne erkennbare Form oder Struktur, im brachialen Stampfrhythmus. 1-A-Fluchtreflexmaterial.

Diese Musik walzt alles platt

„Spanische Reiter“ lautet der Titel des 1988 uraufgeführten Stücks – was der Komponist nur ironisch meinen kann, denn diese akustische Walze macht auch die stärksten Straßensperren platt. Thomas Adès, der von Simon Rattle nachdrücklich geförderte britische Komponist, der an diesem Abend bei den Berliner Philharmonikern als Dirigent debütiert, hat Barrys ganz und gar nicht poetische Tonverdichtung ausgesucht.

Adès hat auch sehr eigene Vorstellungen davon, wie musikalische Intensität entsteht: In der Ouvertüre zu „Les Franc-juges“, einem Jugendwerk von Hector Berlioz, erzwingt er mit peitschender Gestik eine derartige interpretatorische Grobschlächtigkeit von den Philharmonikern, dass die gar nicht mehr nach sich selbst klingen, sondern wie ein x-beliebiges Durchschnittsorchester.

Eine pure Freude ist es dagegen, Pekka Kuusisto zuzuschauen, wenn er den Solopart im Violinkonzert von Adès spielt: Nicht nur äußerlich tanzend, sondern eben auch innerlich mit felsenfester Überzeugung, unbeeindruckt von den aggressiven Einwürfen des Orchesters, mit charmanter Selbstverständlichkeit in den flirrenden, an den Nerven zerrenden Passagen in höchsten Lagen. Ja, er lässt sich nicht einmal davon irritieren, dass das Thema des Finales wie „Backe, backe Kuchen“ klingt.

Noch ein zweites eigenes Werk hat Thomas Adès aufs Programm gesetzt, ein Potpourri aus seiner Oper „The Exterminating Angel“. Das bietet ein freches Plagiat von Ravels „La Valse“, außerdem schwelgerisch-spätromanische Passagen und traditionell geformte Melodien, die eine heile Welt simulieren – bis die nächste Krach-Kanonade dazwischenfährt.

RBB Kultur sendet einen Mitschnitt des Konzerts am 24. 9. ab 20 Uhr.

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