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Franz Welser-Möst leitet das Cleveland Orchestra seit mehr als 20 Jahren.

© Roger Mastroianni

Musikfest Berlin 2022: Lauter Wonnenglanz

Das Cleveland Orchestra begeistert unter der Leitung seines Chefdirigenten Franz Welser-Möst beim "Musikfest Berlin"

Endlich ist auch das Cleveland Orchestra wieder auf Tournee. Im 104. Jahr seiner Existenz stellt es sich derzeit erneut dem direkten Vergleich mit der europäischen Konkurrenz. In der Philharmonie gastierte die Formation aus Ohio im Rahmen des Berliner Musikfestes einen Tag nach dem London Symphony Orchestra und zwei Tage vor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom. Auch, wenn letzteres Konzert noch aussteht, darf man jetzt schon sagen: Die Clevelander haben sich mit einer lohengrinmäßigen Kombination aus Glanz und Wonne behauptet.

Der Glanz entspringt einem gnadenlosem Perfektionismus, der buchstäblich jede Stimmgruppe beseelt, jeden einzelnen Musiker. Jedes Detail ist zu hören, selbst im dicksten Tutti. Jeder Klang ist präsent, jede Linie lässt sich verfolgen. Eine unglaubliche Transparenz!

Die Wonnen wienerischer Leichtigkeit

Man könnte diese Brillanz als Oberflächenphänomen und typisch amerikanisch abtun. Wären da nicht auch die Wonnen wienerischer Leichtigkeit: fast ein Laissez-Faire. Doch kommt das mit Ernst und einer Selbstverständlichkeit daher, die auch Widerspruch aushält, Süße und Abgrund. Diese Elastizität des Klangbilds ist gewiss dem Dirigenten Franz Welser-Möst zu danken, er stammt aus Linz und arbeitet seit gut 20 Jahren als Musikdirektor in Cleveland.

Zwei allzu selten gespielte Orchesterwerke von Wolfgang Rihm bildeten die Vortruppe zur großen C-Dur-Symphonie von Franz Schubert. Das drischt lustig los mit Tusch und Beckenschlag – ein Allegrosatz, der sich in gestenreiche Holz- und Blechsolistenparaden vereinzelt, inklusive Harfenpling, Klarinettenkadenz und Violinensolo.

Wolfgang Rihm vertont Verwandlungen

Als „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“, an Korngold erinnernd, zugleich an Schönberg, so hat der Musikwissenschaftler Rainer Peters diese spätromantisch schön sich verzweigende Orchesterszene einmal beschrieben, die Rihm selbst „Verwandlung 3“ nannte, frei nach Nietzsche. Der erzählte in seinen Zarathustra-Reden von drei Verwandlungen: Wie der Geist zunächst ein Kamel sei, gesammeltes Wissen tragend; sich alsdann verwandele in einen freiheitsdurstigen Löwen – und zuletzt zum spielenden Kinde werde.

„Verwandlung 2“, komponiert 2005 für den „alten Klang“ des Leipziger Gewandhausorchesters, beginnt wie ein verbogener Ländler mit einer viertönigen Violinenfigur und Trompetensoli, die von Mahler sein könnten. Sind aber echter Rihm, labyrinthisch im weiteren Fortgang, klangschön verspielt. Jeder ist vorübergehend Solist. Alle Melodien scheinen miteinander verwandt.

Schließlich: Schuberts Symphonie. Eine idiomatisch perfekte, fließende Darbietung. Allein die butterweichen Hörner! Die himmlische Oboe! Es gibt hingerissenen Zwischenapplaus nach den ersten zwei Sätzen und zum Schluss: Ovationen im Stehen.

Eleonore Büning

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