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Adam Driver in Jim Jarmuschs „Paterson“.

© Cannes

Cannes Journal (4): Nach Paterson!

Ein Busfahrer, ein Notizbuch, viel Routine: Es passiert peinigend wenig in Jim Jarmuschs "Paterson". Und plötzlich ist wie aus Versehen ganz umwerfend von Liebe die Rede.

Es braucht schon ein bisschen Disziplin, um zwölf Tage Cannes durchzustehen – von der Kinositzsuche morgens um acht wegen der ersten Pressevorführung bis zum Abspann des letzten Wettbewerbspflichtfilms abends um zehn, von der Kür Richtung Nacht ganz zu schweigen. Da ist es nett, wenn einen der Körper auf die Minute genau weckt. Wecker nerven erstens und sind bekanntlich auch nicht immer zuverlässig.

Mit solcher Begabung wäre man fast ein Fall für Jim Jarmusch – schließlich wacht der Busfahrer namens Paterson, der in seinem Film namens „Paterson“ durch eine Stadt namens Paterson fährt und folglich der Einfachheit halber von Adam Driver gespielt wird, immer morgens um viertel nach sechs auf. Er guckt auf die Armbanduhr, küsst seine allerliebst weiterschlummernde Frau Laura, die ganz wunderschön von Golshifteh Farahani gespielt wird, und geht zur Arbeit.

Dann gibt es da noch die Bulldogge namens Marvin, für Laura der Ersatz für ein Kind, für Paterson eher eine Last, über die er aber ebenso wenig klagt wie über sonst was auf der Welt. Und jeden Abend geht Paterson als Gassibringer mit Marvin um den Block und macht in seiner Lieblingsbar Station, auf exakt ein abgezähltes Bier.

Jeden Morgen schreibt der Busfahrer ein paar Zeilen ins Notizbuch

Hallo, ist das überhaupt ein Filmstoff, werden Sie spätestens jetzt sagen, das ist doch noch langweiliger als die Wirklichkeit! Stimmt, in „Paterson“ passiert geradezu peinigend wenig und ist in der erzählten Arbeitswoche so ziemlich alles auf Wiederholung getrimmt. Andererseits schreibt Paterson Gedichte, ganz wie der berühmte William Carlos Williams, der übrigens ein fünfbändiges superberühmtes Gedicht namens, richtig, „Paterson“ geschrieben hat, natürlich über Paterson, dieses Städtchen eine halbe Autostunde von New York.

Jeden Morgen schreibt er im Busbahnhof noch ein paar Zeilen in sein Notizbuch überm Lenker, bevor er den Motor anlässt, es sind Gedichte, die das Williams-Credo „no ideas but in things“ beherzigen, es geht in ihnen etwa um die Abwägung zwischen bestimmten Streichholzsorten, und plötzlich ist wie aus Versehen ganz umwerfend von Liebe die Rede. Kurzum, ein Gedicht von Film, aber wer liest und schreibt heute noch Lyrik?

Paterson ist ein Poet des Alltags

In „Paterson“ sind das eine ganze Menge Leute, ein Schulmädchen, ein Japaner, Paterson natürlich, und dann ist da die ungeheuer glücksversprühende Laura, die ihren so allseits gutmütigen Paterson für einen großen Dichter hält. Und bitte, wer beweist das Gegenteil? Paterson ist ein Poet des Alltags, im Schauen, im Ablauschen von Fahrgastgesprächen oder abends in der Bar, das Sehen ist das Entscheidende, erst dann kommt das Schreiben, und wenn doch mal etwas absurd komisch Schreckliches passiert, das ein bisschen Text überschreibt im Leben von Paterson, dann blinzelt das viel Schönere spätestens um die übernächste Ecke.

„It’s just words“, sagt Paterson einmal, und richtig, dieser Film ist zwar eine Liebeserklärung ans Schreiben und erst recht eine ans Lieben, zuallererst aber eine an das Sein. Nichts schöner, als für so etwas morgens zu erwachen ganz von allein.

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