zum Hauptinhalt
Inge Feltrinelli (24.11.1930 - 20.9.2018).

© Ralf Roeger/dpa

Nachruf auf Inge Feltrinelli: Mit Stirn, Charme und Milano

Zum Tod der deutsch-italienischen Verlegerin und Fotografin Inge Feltrinelli. Sie ist im Alter von 87 Jahren gestorben.

Von Gregor Dotzauer

Sie hatte mindestens vier Leben: eines vor, eines mit, eines ohne und eines nach Giangiacomo Feltrinelli. Aber von welcher Seite aus man auch auf die Fotografin, die Verlegerin und den mondänen Feuergeist Inge Feltrinelli, geborene Schönthal, blickt: Kein einziges von ihnen wäre heute noch so möglich. Inge Feltrinelli, Jahrgang 1930, war das Kind einer Stunde Null, das früh begreifen musste, dass es keine Stunde Null gibt. Als Tochter eines deutschen Juden, der 1938 emigriert, wächst sie vor den Toren von Göttingen unter einem Stiefvater auf, der sie als Kavallerieoffizier nicht nur vor der Deportation bewahrt, sondern ihr sogar ein relativ geschütztes bürgerliches Dasein ermöglicht: Die Mutter hat ihn aus Liebe geheiratet.

Nach dem Krieg und dem Tod des Stiefvaters ist rein ökonomisch an ein Studium nicht zu denken. Als Helferin einer Fotografin geht sie als 19-Jährige nach Hamburg, übernachtet auf der Luftmatratze vor der Dunkelkammer, streift durch die Stadt und begeistert sich mit ihrer eigenen Kamera vor allem für die Schiffe im Hafen. Die Porträtistin wird geboren, als sie in Pöseldorf Hans Huffzky, dem einflussreichen Gründer der Frauenzeitschrift „Constanze“ begegnet. Er redet ihr ins Gewissen, so schnell wie möglich Menschen ins Visier zu nehmen.

Sie überzeugte Ernest Hemingway von einer Neuübersetzung seiner Bücher

Der Ratschlag fruchtet. Sie arbeitet für die „Constanze“, wird herumgereicht, lernt den unpolitischen Dandy Axel Springer, Rudolf Augstein und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt kennen. Letzterer überredet sie 1953, ein Jahr nach ihrer ersten USA-Reise, bei der sie an einer Ampel der New Yorker Madison Avenue einen Schnappschuss von Greta Garbo ergatterte, Ernest Hemingway auf Kuba zu besuchen und ihn von einer Neuübersetzung seiner Bücher zu überzeugen.

Keine Geschichte über Inge Feltrinelli kommt seither über den mühsame Vordringen zu dem abwehrenden Meister aus, an dessen Ende die berühmteste Serie ihrer Karriere steht: mit dem Selbstauslöser gemachte Aufnahmen, die sie, einen Speerfisch, den Schriftsteller und den Fischer Gregorio Fuentes zeigen, der das Vorbild für die Novelle „Der alte Mann und das Meer“ war. Dabei versteht sie sich selbst weniger als begabte Fotografin denn als Knipserin mit einem Gespür für den richtigen Moment.

Heute leitet Sohn Carlo die Geschicke des Verlages

1958 begegnet sie auf einer Party des Rowohlt Verlags dem Mailänder Verleger Giangiacomo Feltrinelli. Er stammt aus einer der reichsten Familien Italiens, ist dennoch Mitglied der Kommunistischen Partei und hat sich unter anderem dadurch einen Namen gemacht, dass er das Manuskript von Boris Pasternaks „Doktor Schiwago“ aus Moskau herausgeschmuggelt und veröffentlicht hat. Zwei Jahre später ist sie seine dritte Ehefrau, kennt von da an nur noch die Welt der Bücher und schenkt ihm 1962 einen Sohn, Carlo Feltrinelli, der seit 1999 die Geschicke des Hauses erfolgreich lenkt und derzeit mehrere Tochterunternehmen und 124 Buchhandlungen betreibt.

Während der introvertierte, selbstzweiflerische Giangiacomo das Programm bestimmt und jede Menge linker Literatur verlegt, hält sie mit ihrem offensivem Charme Hof. Doch die Arbeitsteilung hält nicht vor. Ihr Mann, mit der PCI längst über Kreuz, radikalisiert sich, geht 1968 mit der Gruppo d’Azione Partigianasogar in den Untergrund und überträgt ihr alle Geschäfte. Die bestehende Entfremdung wächst, und 1972 steht sie unversehens ganz allein da: Am 15. März wird Giangiacomo am Fuß eines Hochspannungsmastes tot aufgefunden. Angeblich hat er sich bei einem Sabotageakt der Roten Brigaden selbst in die Luft gesprengt. Andere sprechen von der Hand des Mossad oder des KGB.

Inge Feltrinelli will sich nicht unterkriegen lassen. Sie entlässt einen Teil der Belegschaft, modernisiert das Programm und verschafft dem Verlag eine Zukunft. Als Präsidentin betrieb sie mit ihrem geschäftsführenden Sohn zuletzt dieselbe Arbeitsteilung wie mit ihrem früheren Mann. Nun ist die innerhalb und außerhalb der Branche geschätzte, bewunderte und vielfach sogar geliebte deutsche Mutter des italienischen Literaturbetriebs mit 87 Jahren in ihrer zweiten Heimat Mailand gestorben.

Zur Startseite