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Alterslose Erscheinung. Peter Hamm.

© Rolf Haid/dpa/p-a

Nachruf Peter Hamm: Der Staunende

Bildungswilder mit Sinn für das sanfte Gesetz: Zum Tod des Dichters und Essayisten Peter Hamm.

Von Gregor Dotzauer

Eines seiner Gedichte in dem 1985 erschienenen Band „Die verschwundene Welt“ endet mit den Zeilen: „Bis zuletzt / das Sakrament / des Staunens.“ Die Fähigkeit zum Staunen war vielleicht Peter Hamms größtes Talent: mehr als Neugier, über die er im Übermaß verfügte, und weniger als ein Wissen, das die lebendige Erfahrung, auch im Umgang mit Texten, in einer trügerischen Ordnung ruhigstellt. Dieser Essayist und Kritiker wollte erschütterbar bleiben, und dass er seine Empfindsamkeit als etwas Heiliges betrachtete, zeugt von einem Sinn für Transzendenz, der im Katholizismus seiner oberschwäbischen Kindheit und Jugend einen Nährboden hat, darin aber nicht aufging. Wenn Hamm den katholischen Schriftsteller Reinhold Schneider zu einer Leitfigur erkor und ihm 1984 mit „Wille zur Ohnmacht“ einen brillanten Essay widmete, dann steckte darin nichts Klerikales. Zu sehr hatte er unter den Erziehungsmethoden von Internaten wie dem Salvatorkolleg in Bad Wurzach gelitten. Es war die Bewunderung für eine ans Mystische grenzende Innerlichkeit, die dennoch eine politisch klare, pazifistische Haltung zur Welt entwickelte.
„Vor einem Jugendbild“ heißt das zitierte Gedicht, in dem sich der Erwachsene als 14-Jähriger betrachtet, „ahnungslos, allwissend“, wie er damals war. Hamm, 1937 in München geboren und nach dem Tod der Mutter 1940 zunächst bei den Großeltern in Weingarten aufgewachsen, veröffentlichte es als 48-Jähriger. Aber so jungenhaft elegant, wie der großgewachsene Mann auf dem Literaturbetriebsparkett auch jenseits der 80 noch auftrat, konnte er sich wohl bis an seine Lebensgrenze als Jugendlicher imaginieren. Es war eher seine Stimme, die etwas Müdes, Melancholisches hatte, versetzt mit einem Hauch von salbungsvollem Tremolieren. Vor allem den Hörern des Bayerischen Rundfunks war sie über fast vier Jahrzehnte vertraut. Lange moderierte Hamm als fest angestellter Kulturredakteur ein sonntägliches Journal, bei dem auch seine ungeheure Kenntnis von klassischer Musik zum Tragen kam.
Seine immense Bildung hatte er autodidaktisch erworben. Er konnte nicht einmal ein Abitur, gerade mal eine abgebrochene Buchhändlerlehre vorweisen. Lesen und Schreiben waren für ihn auch so Überlebensmittel. Das Verfassen von Gedichten galt ihm sogar als „Akt der Notwehr“. In den sechziger Jahren ließ er sich zu seinem eigenen Bedauern eine Weile vom linken Glauben an den Tod der Literatur verführen, ließ sich aber bald wieder zum sanften Gesetz des Dichterischen bekehren. Als einer der wichtigsten Exegeten seines Freundes Peter Handke, dem er zusammen mit Michael Krüger auch als Juror des Petrarca-Preises verbunden war, begleitete er den Weg des Österreichers in jene beiläufige Weltmitschrift, die sich gleichfalls als Kunst des Staunens beschreiben lässt. Seine Hausheiligen blieben indes Robert Walser und Fernando Pessoa, über die er wegweisende Essays geschrieben hat. Am Montag ist Peter Hamm mit 82 Jahren in Tutzing gestorben.

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