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Abschied von der Naivität. In Ulrich Woeks neuem Roman brechen Tragödien über das junge Leben ein.

© Julian Stratenschulte/dpa

Neuer Roman von Ulrich Woelk: Mond oder Erde

Trennungen, Schuldgefühle und Tod: Ulrich Woelk beobachtet in seinem neuen Roman „Der Sommer meiner Mutter“, wie eine Kindheit endet.

Im Sommer 1969 ist es vorbei mit der harmonischen Kindheit des elfjährigen Tobias. Mit seinen Eltern wohnt er in einem modernen Einfamilienhaus am Stadtrand von Köln. Zum Geburtstag hat er seine erste Jeans bekommen. Mutter freut sich über die „kratzfeste Arbeitsfläche aus hellblauem Kunststoff“ in der Küche, trägt seidene Kopftücher, um „die gefestigten Wellen ihrer toupierten Frisur“ gegen den Wind zu schützen, und überlegt, ob sie nicht auch eine Jeans kaufen soll. Der 1960 geborene Ulrich Woelk braucht nur wenige Sätze, und schon ist der Leser mittendrin in der westdeutschen Konsumwelt der sechziger Jahre.

Für den Sommer ist die erste bemannte Mondlandung geplant, und Tobias fiebert ihr entgegen. Dann aber ziehen neue Nachbarn ein. Sie sind so anders als seine katholischen Eltern, vor allem die hellwache, fast 13-jährige Nachbarstochter Rosa ist anders. Mondlandung, naja. Aber kennt Tobias eigentlich die Doors? Janis Joplin? Hat er eine Ahnung von Politik? Und weiß er eigentlich, wie es sich anfühlt, wenn man sich dort anfasst, wo man sich nicht anfassen soll? Schon mal in der „Geschichte der O.“ geblättert? Tobias ist verwirrt, und ein bisschen ist es auch seine Mutter. Was ist bloß los? Immer besser versteht sie sich mit Wolf, dem kommunistischen Philosophiedozenten, der Volvo fährt und filterlose Gitanes raucht.

Für Tobias sind Neil Armstrongs erste Schritte auf dem Mond dann jedenfalls gar nicht so aufregend: Es passiert viel Aufregenderes hier auf Erden, zwischen Rosa und ihm, auch zwischen seiner Mutter und der Nachbarin. Mit katastrophalen Folgen: Trennungen, Schuldgefühle, Tod. Der gelernte Astrophysiker Ulrich Woelk schafft es in seinem Roman „Der Sommer meiner Mutter“, die Atmosphäre der Zeit dicht und spannend zu schildern – und auch vom 45 Jahre später spielenden Epilog wird der Leser nicht enttäuscht.

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter. Roman. C.H. Beck, München 2019. 189 S., 19,95 €.

Klaus Hübner

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