
© Thomas Koy
Neues Musical an der Neuköllner Oper: Schneewittchen für Jedermensch
Die jüngste Kooperation der Neuköllner Oper mit dem Musical-Studiengang der UdK ist ein „Meinungsmärchen mit Musik“. Darin geht es um so ziemlich alles, was gerade diskutiert wird.
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Die Musiktheaterschmiede der Neuköllner Oper präsentiert „Bis keiner weint“, in Kooperation mit dem Studiengang Musical/Show der UdK, ein „Meinungsmärchen mit Musik“. Doch: Was ist das überhaupt und wer weint denn da?
Die Uraufführung heute macht das gar nicht so klar. Jedenfalls geht es um Kunst und Korrektheit – Political Correctness, erst mal. Es gilt, das Märchen „Schneewittchen“ als Blockbuster neu aufzulegen. Nach der Maxime der Gewinnmaximierung. Sämtliche Zielgruppen von LGBTQIA+ Community bis zum Kleinkind sollen sich angesprochen fühlen, fordert die Chefetage.
Mit der Quadratur des Kreises ist ein heterogenes Kreativteam betraut. Die ausführende Juniorproduzentin lädt also eine feministische Romanautorin, einen Gagschreiber des Privatfernsehens, eine Influencerin sowie einen narzisstischen Serienstar zur Klausur in ein abgelegenes Hotel. Chaos ist da vorprogrammiert. Die ambitionierten Versuche zum inklusiven Märchen, ohne Diskriminierung und Benachteiligung, mit Identifikationsfiguren für „Jedermensch“, fahren heftig gegen die Wand.
Powerplay auf der Bühne
Denn zu kantig und eckig treten die Einzelcharaktere in den Rollen von Tara Friese, Laura Goblirsch, Nathan Johns, Fabio Kopf und Anna-Sophie Weidinger hervor. Alle fünf studieren im dritten Jahr im Studiengang Musical/Show an der UdK und haben die letzten Monate an der Einstudierung des Stücks gearbeitet. Die Energien, die da in Tanz, Schauspiel und Gesang von der Bühne in den Saal fluten, lassen viel Musicalpotenzial erkennen.
In professioneller Stamina versenken sich die jungen Künstler leidenschaftlich in ihre Figuren. Und die sind wohl den eigenen Lebensrealitäten gar nicht fern, angesichts der Omnipräsenz von Debatten um Gender, freie Selbstentfaltung, Social Media oder einen angemessenen Umgang mit Sprache. Und doch bleiben - trotz toller Stimmung im Saal - die Subjekte in der stereotypischen Anlage im Stück seltsam leblos, kalt. Man fühlt nicht mit ihnen, sie erstarren zu Abziehbildern kategorisierender Identitätsboxen.

© Thomas Koy
Dabei werden viele Schubladen aufgemacht. Anfangs geht es tatsächlich um Political Correctness. Was darf und soll Entertainment, wo sind die Grenzen von Satire und Geschmack? Schnell dreht sich die Spirale der Themenkreise allerdings weiter: von Identität, Kapitalismus und Social Media über Spitzen in Richtung Schaubühne, Beziehungsstress, Geschwisterkonflikte zu Monarchie und Gewerkschaften, um schließlich bei Machtstrukturen im Showbusiness und „Me Too“ zu kulminieren.
Überbordende Ideen
Entlang der mal mehr, mal weniger gewinnenden Gags wäre eine Profilierung der einzelnen Themenkomplexe wünschenswert. Dabei zeigen sich in den vielen gelungenen und detailreichen Szenen die Bemühungen des Regisseurs Mathias Noack, das Skript (Constanze Behrends und Franziska Kuropka) zu bändigen. Insgesamt transformiert der Ideenreichtum das Stück zur Kuchenform, die bis zur Oberkante mit Teig gefüllt wird.
Dieser Eindruck drängt sich noch frappierender in der Musik von Lukas Nimschek auf. Sie bewegt sich in Anleihen grob zwischen Snarky Puppy, „König der Löwen“ und Roger Whittaker und stellt die Seichtheit von Instagram und Co. eindrucksvoll zur Schau. Aber wo bleibt die Emotion, eine ästhetische Musicalerfahrung?
Wo sind die Ohrwürmer?
Da gibt’s keine eingängigen Ohrwürmer, kaum Interessantes, zumeist lieblos aneinandergereiht wirkende Akkordverbindungen im Blocksatz. Da ist es schon ein „Moment“, wenn es im „Cheesy Song“ zu einem etwas exponierten Terzbass kommt. Am Ärgsten ist allerdings, wie die Songtexte in Musik gesetzt wurden: Zuweilen wirkt es, als seien die Worte wahl- wie gefühllos ins Tonhöhenkorsett gepresst. „Dass keiner weint, wird nie passieren; dafür haben wir’s zu sehr verkackt; doch wir können‘s trotzdem probieren – und hoffen, dass es klappt.“ So könnte sich vielleicht die Kernaussage des Stückes fassen lassen, als Ermutigung zu Diversität. Mit gestrafften dramaturgischen Konzepten könnte das in zukünftigen Produktionen an der Neuköllner Oper sicherlich noch eindrucksvoller gelingen: „Right, gewinn diesen Fight, nutz die Gelegenheit!“
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