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Kalifornischer Träumer. Nick Waterhouse.

© Innovative Leisure

Nick Waterhouse im Berliner C-Club: Der Archäologe als Avantgardist

Nick Waterhouse liebt den Rhytm'n'Blues der späten fünfziger Jahre. Doch ihm geht es nicht um die möglichst originalgetreue Rekonstruktion eines Sounds - er zerlegt sein Material. Beim Berliner Konzert wird er dafür frenetisch gefeiert.

Nostalgie ist eine Fluchtbewegung: vorwärts in die Vergangenheit, immer tiefer hinein. Nach den Erfolgen von Retro-Diven wie Amy Winehouse, Duffy oder Adele gibt es inzwischen heute mehr Neo-Sixties-Soulsängerinnen als Soulsängerinnen in den Sixties selbst. Um dem Hype zu entgehen, helfen nur Vermeidungsstrategien. Der kalifornische Sänger und Gitarrist Nick Waterhouse, 1986 bei Los Angeles geboren, hat sich auf eine Musik konzentriert, die von den Recycling-Gelüsten der Plattenfirmen bislang verschont war: dem Rhythm & Blues und Rock ’n’ Roll der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre. In dieser Ära vor dem Pop-Urknall trugen Musiker noch ordentlich gebügelte Hemden.

Doch anders als etwa den Künstlern des New Yorker Daptone-Records-Labels geht es Waterhouse keineswegs um die möglichst originalgetreue Rekonstruktion eines Sounds. Er bearbeitet das historische Material, zerlegt, entschleunigt und amalgamiert es. Sein meisterhaftes zweites Album „Holly“ vibriert vor Energie und wirkt dabei doch skizzenhaft, wie schnell hingeworfen. So wird Archäologie wieder zu Avantgarde.

Sein Konzert im gut gefüllten Berliner C-Club beginnt der Retro-Avantgardist mit dem Auftaktstück des Albums, „High Tiding“, dem Lamento eines Mannes, der emotional genauso labil ist wie der Pazifik bei Sturm. Waterhouse trägt eine Buddy-Holly-Brille zum grauen Anzug und könnte direkt der Fernsehserie „Mad Men“ entsprungen sein. Aus der siebenköpfigen Band sticht die Baritonsaxofonistin in ihrem roten Etuikleid heraus. Waterhouse setzt seine stotternden guitar-picking-Töne gegen die zackige Wucht von Bass und Schlagzeug.

Zum Höhepunkt gerät der von pumpenden Orgelakkorden und schrillen „M-O-N-E-Y“-Ausrufen unterlegte Tanzdielenknaller „Ain’t There Something That Money Can’t Buy“, eine antikapitalistische Hymne, die die Käuflichkeit der Welt anprangert und ganz in der Tradition von Blues- und Country-Wehklagen wie „My Bucket’s Got A Hole In It“ steht. Wie gut die Band ist, zeigt sich, als Waterhouse mitten im Rockabilly-Stück „Times All Gone“ mit Gitarrenproblemen von der Bühne verschwindet. Der Altsaxofonist und der Organist springen mit Soli ein und werden frenetisch gefeiert.

Waterhouse ist in der südkalifornischen Retro-Szene verwurzelt, zu der Bands wie die Allah-Las oder The Growlers gehören. Das Stück „It No. 3“ des Garagenrock-Enthusiasten Ty Segall verwandelt er in eine düstere Halbballade. Am Ende, als ihn die Zuhörer erst nach vier Zugabeblöcken abtreten lassen, spielt Waterhouse noch einen Proto-Punk-Klassiker: das herrlich eiernde „Pushin’ to Hard“ von den Seeds.

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