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SCHREIB Waren: Nur die Lüge lässt uns leben

Das Geschrei ist immer wieder groß. Erklingt es in diesen Tagen zu zweifelhaften Ehren des Verteidigungsministers, galt es vor einem Jahr einer blutjungen Berliner Autorin: Helene Hegemann.

Das Geschrei ist immer wieder groß. Erklingt es in diesen Tagen zu zweifelhaften Ehren des Verteidigungsministers, galt es vor einem Jahr einer blutjungen Berliner Autorin: Helene Hegemann. Zu lernen war damals dreierlei. Erstens, dass Plagiieren, Fälschen und Kopieren Techniken sind, mit denen man nicht zwingend gute Romane, aber immerhin ein wenig Kulturgeschichte schreibt. Zweitens, dass in glaubensfernen Zeiten, die Bereitschaft an säkularisierte Wunder in Gestalt literarischer Wunderkinder zu glauben, erstaunlich hoch ist. Und drittens, dass die Wahrheit übers Lügen irgendwo zwischen biblischen und popmusikalischen Geboten liegt.

In jenem spannungsreichen Spektrum von „Du sollst nicht lügen“ (Gott) und „Tell Me Lies“ (Fleetwood Mac) situiert sich auch das Berufsbild des Fälschers. Wo der Plagiator darauf spezialisiert ist, Fremdes als Eigenes auf den Markt zu bringen, macht er sich dadurch einen Namen, dass er auf diesen verzichtet und sein Können anderen unterjubelt. So wie Konstantin Simonides, griechische Fälscherprominenz aus dem 19. Jahrhundert. Dieser hatte offenbar ein Credo Goethes ernst, aber nicht allzu wörtlich genommen. Anstatt das Land der Griechen mit der Seele zu suchen, rückte er ihm mit der Feder zu Leibe. Womit er nicht nur virtuos den antikefiebrigen Zeitgeist bediente, sondern auch Geschichte schrieb – vor allem, weil vieles von dem, was er als vermeintlich historisch verbriefte Tatsachen unter die Leute brachte, erfunden war. Am Mittwoch um 19.30 Uhr wird Rüdiger Schaper, Leiter des Tagesspiegel-Kulturressorts, im Radialsystem seine Simonides-Biografie „Die Odyssee des Fälschers“ vorstellen (Holzmarktstr. 33, Anmeldung unter Tel. 089/41 36 31 24).

Als Odyssee anderer Art erscheint Wolfgang Herrndorfs vielgelobter Roman „Tschick“: Tschick und Maik, zwei jugendliche Außenseiter, machen sich im geklauten Lada auf nach Osten, um irgendwo im Nirgendwo die zur Metapher geronnene Walachei zu finden. Wer sie begleiten möchte, begebe sich am Freitag in die Kammerspiele des Deutschen Theaters (Schumannstr. 13a). Dort liest der Schauspieler Ulrich Matthes um 21 Uhr aus Herrndorfs Roman, der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde.

Auch wenn sein Titel dies vielleicht vermuten ließe, hat Richard Wagners Roman „Belüge mich“ mit Fleetwood Mac nichts zu tun. Mit einer Reise nach Rumänien hingegen schon. Genauso wie mit biografischer Wahrheitssuche und historischen Verschleierungen. Der 1952 im Banat geborene und heute in Berlin lebende Autor schickt seine Protagonistin nach Bukarest, wo sie mit der familiären Vergangenheit konfrontiert wird. Das Thema des Lügens in politischer Tiefenschärfe am Donnerstag um 20.30 Uhr im Buchhändlerkeller (Carmerstr. 1).

Thomas Wegmann

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