zum Hauptinhalt

Kultur: Orchester der Stimmen

Propper wie die Comedian Harmonists sehen die zwölf Männer des kalifornischen Kammerchors "Chanticleer" in ihren tadellosen Fräcken aus.Tadellos bis in die perfekt synchronisierten Verbeugungen ist auch die Choreographie einstudiert.

Propper wie die Comedian Harmonists sehen die zwölf Männer des kalifornischen Kammerchors "Chanticleer" in ihren tadellosen Fräcken aus.Tadellos bis in die perfekt synchronisierten Verbeugungen ist auch die Choreographie einstudiert.Da gibt es kein Stolpern und Rempeln bei den zahllosen Positionswechseln, mit denen die Amerikaner bei ihrem Berlin-Debüt im Kleinen Saal des Schauspielhauses ihre Nummernfolge optisch auflockern.Der erste Show-Block bringt englische Renaissance-Motetten von Byrd, Farrant, Weelkes.Er wirkt makellos, aber technisch wie eine Aerobic-Session.Warmsingen, das hört man, muß sich das Elite-Ensemble aus San Francisco nicht.Es ist professionell genug, um aus dem Stand von null auf hundert durchzustarten.Aber warm wird man auch nicht dabei.Der Baß tritt aus dem Halbkreis in die Mitte und verliest eine deutsche Grußbotschaft.Erfreuter Applaus.Für zwei Stunden sind wir eine große Familie.Anschließend trifft man sich zum Signieren im Foyer.Und damit wir auch die richtige Scheibe erwerben, weist uns das dürftige Programmheft mehr oder weniger diskret darauf hin, auf welcher CD wir unser Lieblingslied finden.

Das Konzert als Wohlfühl-Service - das ist die eine Seite des amerikanischen Professionalismus.Die andere, daß der Solistenchor wirklich toll ist.Von der Renaissance-Polyphonie springt er, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, in den dissonanzenreichen Ensemblesatz zeitgenössischer amerikanischer Kompositions-Professoren und meistert ihn mit fast makelloser Intonation.Von dort geht es zwei Jahrhunderte zurück zum brasilianischen Klassizismus.José Maurício Nunes Garcia hat sich in seiner traurig-schönen, herrlich sentimentalen "Crux fidelis"-Motette offensichtlich an Mozarts "Requiem" orientiert.John Taverners "Village Wedding" von 1992 zeichnet mit herben Harmonien, weitausschwingenden Melismen und gebetsmühlenhaften Wiederholungen das Ritual einer griechischen Dorfhochzeit suggestiv nach.

In Steven Stuckys bunt-lautmalerischen Wiegenliedern arbeiten die Sänger einander lustvoll mit fast körperlichem Ensemble-Gefühl zu, als spürten sie ihre diffizilen Einsätze durch die Haut.Bewunderswert die Verblendung der Kopfstimmen in den Jazzy Tunes und in den teils innigen, teils derben Folk Songs, mit denen Christopher Fritzsche auf dem Gebiet des Countertenor-Giganten Alfred Deller überraschend gute Figur macht.Zu trampelnden Ovationen aber riß das phantastische Dutzend den Saal mit seinem von Chorleiter Joseph Jennings arrangierten Spirituals-Medley hin.So soulig, swingend und perfekt kann das wohl nur ein amerikanischer Profi-Chor singen.Chapeau.

BORIS KEHRMANN

Zur Startseite