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Paul Klees kleines Aquarell "mit dem braunen Dreck" entstand 1915 nach seiner Tunisreise.

© Kunstmuseum Bern

Paul Klee in der Fondation Beyeler: Zeichen seiner Zeit

Vom Versuch, die Welt zu entziffern: „Paul Klee – Die abstrakte Dimension“ in der Fondation Beyeler bei Basel.

Nein, der Klee’sche Angelus Novus, der jetzt wieder die Weihnachtskarten ziert, findet sich nicht in dieser Ausstellung. Sie lädt vielmehr zur Entdeckung einer weniger beachteten Seite im Werk von Paul Klee (1879–1940) ein. Sie erkundet einen Maler, der nicht nur die Engel zeichnet, sondern die Zeichen selbst erkundet. Denn wie seine Zeitgenossen Picasso, Kandinsky oder Malewitsch hat auch Klee sich mit der Frage befasst, wie die Welt zur Kunst wird, zur Kubatur, zur Komposition. Und was bleibt von der Natur, der Kreatur, der Architektur, wenn man zum Wesen vordringt und einmal absieht von der konkreten Gestalt. „Paul Klee – Die abstrakte Dimension“ in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel fügt auch die Frage hinzu, welchen politischen Hintergrund dieser ästhetische Vorgang hat. Möglicherweise.

Auch das gehört zu Klee, dem so gern Blockbuster-Ausstellungen gewidmet werden: die Liebe zur Geometrie, angefangen von der frühen Münchner Zeit und der Tunisreise 1914 bis hin zum kalligrafisch radikal reduzierten Spätwerk. Klees berühmte Farbfelder im Schachbrettgeviert, die Kugel- und Notenkopf-Bäume, die Stadt als Diagramm oder das Dromedar als Dreieck auf Beinen im Aquarell „mit dem braunen Dreieck“ (1915): Zeitlebens transformierte der im Kanton Bern geborene Deutsche seine Wahrnehmung der Welt in Streifen, Schriftzeichen, Farbschichten, Muster. Mit dem heraufdämmernden Ende der Weimarer Republik werden die Bilder zudem kompromissloser, oft düsterer. Dicker Pinselauftrag mit oder ohne Strichmännchen, breite schwarze oder knallrote Konturen, Jute und Gips, Pigmente, Kleister, Karton: Das Material emanzipiert sich, wie Marie Luise Knott in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Dazwischenzeiten“ (Matthes & Seitz) schreibt, in vier Essays über die Kunst von Klee und anderen im Jahr 1930.

Die Wirklichkeit, sie entrückt. Schon im Ersten Weltkrieg sagte Paul Klee: „Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute), desto abstrakter die Kunst (...) In der großen Formgrube liegen Trümmer, an denen man noch teilweise hängt. Sie liefern den Stoff zur Abstraction.“ Den Weg des Malers hin zu dieser Abstraktion zeichnet die Ausstellung in Riehen nun nach.

Immer wieder Freude über die Farbe

Zwar handelt es sich nicht um die erste Schau dieser Art; die Klee-Kandinsky-Ausstellung vor zwei Jahren im Münchner Lenbachhaus unternahm eine ähnliche Expedition ins Klee’sche Œuvre, im Rahmen eines Doppelporträts. Aber der Kuratorin Anna Szech kommt das Verdienst zu, aus den 10 000 Werken von Klee, über die der Maler so akribisch und durchnummeriert Buch führte, 110 Bilder für die Fondation ausgewählt zu haben, die exemplarisch für die Reflexion von Farbe, Form und Wirklichkeit stehen und die teils selten oder bislang nie öffentlich zu sehen waren. Dazu gehören zehn Werke aus der Sammlung Beyeler selbst (von insgesamt 20) und vor allem 52 Leihgaben aus Privatsammlungen.

Im Ersten Weltkrieg geraten Klees Aquarelle aus den Fugen oder sie gehorchen einer höheren Ordnung. Man täusche sich nicht über die vermeintliche Heiterkeit von Klees Malerei. Raketen wuchern himmelwärts („Himmelsblüten über dem gelben Haus“), Blitze sprengen den Rahmen, Häuser geraten in Schieflage – während der als Soldat in einer bayerischen Fliegerschule stationierte Künstler sich gewissermaßen in anderen Häusern in die innere Emigration zurückzieht. Klee malt sich imaginäre Refugien, Gebäude, Gärten, kleine Kapellen. Ein Kreuz, ein Stern, ein Grünstreifen – es sind Chiffren mit menschlichem Maß.

Die Freude über die Farbe, sie bricht sich zeitlebens Bahn, immer wieder. Leuchtendes Gelb, strahlendes Weiß inmitten von Dunkelfeldern, Klangsensationen, Epiphanien: Schon von Weitem ziehen die Quadratbilder „Blühender Baum“ (1925) und „Blühendes“ (1934) den Ausstellungsbesucher in Bann. Auch das Licht des Südens schlägt sich nieder, in pointillistischen Werken wie „Klaerung“ (1932): Klee reiste nicht nur nach Tunesien, sondern auch nach Italien und Ägypten. Die byzantinische Mosaikkunst findet ihr Echo in den Farbrastern, Klees Synästhesie- Sehnsucht (die er mit Kandinsky teilte) in musikalischen Anverwandlungen, von Inventionen und Variationen bis zur „Fuge in Rot“. Die Welt, ein polyphones Gebilde.

Im Katalog stellt die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer Mutmaßungen darüber an, inwiefern Klees Beherrschung der Spiegelschrift sowie seine Kenntnis von Hieroglyphen, Piktogrammen und Kalligrafien sein Werk prägt. Sie entdeckt Wolkenschriften, Himmelsschriften in etlichen Bildern. „Klee hätte die kabbalistische Auffassung, wonach Buchstaben auf Bildern von Menschen beruhen, in Erwägung ziehen können“, schreibt Holzer. Schöner Gedanke: Da setzt einer Zeichen, eben weil er immer den Menschen meint. Da entziffert einer die Welt, indem er sie malt.

Kongeniales Ambiente für Klees freundliche Kunst

Wie lange liest der Mensch in ein paar Striche, krumm oder gerade, noch Gestalten hinein? Wie viel muss man wegnehmen, damit sich beim besten Willen keine Figur, kein Haus, keine Boote und Bäume mehr wahrnehmen lassen? Die chronologisch wie analytisch nach Werkgruppen sortierte Schau ermöglicht es dem Betrachter, Klees Grenzgänge zwischen Konkretion und Abstraktion zu verfolgen. Der tageslichte Museumsbau von Renzo Piano – auch 2017 übrigens das bestbesuchte Museum der Schweiz –, der die sanft gewellte Landschaft so freundlich in die Architektur miteinbezieht, bildet ein kongeniales Ambiente dafür. Die Freundlichkeit von Klee wiederum, seine bei aller Formstrenge so kindlich anmutenden Farb- und Fabelwesen, sie erwächst womöglich aus dem Wissen des ordnungsliebenden Künstlers, wie wenig sich Ordnung schaffen lässt in seiner Zeit.

Der Unmut darüber kommt in dem von Verstörung gezeichneten Spätwerk der dreißiger Jahren zum Vorschein, in schroffen Bildern wie „Nach der Überschwemmung“, „Erd-Hexen“ oder „Ludus Martis“. Hier herrscht ein Trotz, eine Wut, die man in den frühen Bildern Paul Klees leicht übersieht.

Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, bis 21. Januar, tgl. 10–18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Der vorzügliche Katalog mit Beiträgen u. a. von der Künstlerin Jenny Holzer, dem Dirigenten Theodor Currentzis und dem Architekten Peter Zumthor kostet 52,50 CHF.

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