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Aktivist im Anzug. Tucké Royales Auftritte lösen häufig Irritationen aus.

© Georg Moritz

Performancekünstler Tucké Royale: Im schwarzen Winkel

Die von den Nazis verfolgten „Asozialen“ sind eine vergessene Opfergruppe. Der Performancekünstler Tucké Royale will das ändern – und am Maxim Gorki Theater einen Zentralrat für sie gründen.

Die Haare blondiert. Der Anzug gut geschnitten. Der Name: Royale. Und so jemand erklärt sich zum Ersten Sprecher des „Zentralrats der Asozialen in Deutschland“, der jetzt am Maxim Gorki Theater feierlich tagen wird? Geht das zusammen? Für ein paar Leute nicht. Die würden zum besseren Verständnis der Situation mindestens Repräsentanten in abgerissener Kleidung und höchstens Knäckebrot als Pausensnack auf den Versammlungen erwarten. Tucké Royale ist daran gewöhnt, dass er mit seinem Auftreten und seinen Auftritten Verwirrung und den Wunsch nach sofortiger Klärung aller vermeintlichen Widersprüche auslöst. Äußerlichkeiten sind aber nicht sein Problem, er hat ja Anliegen. Weswegen man es auch getrost stehen lassen darf, dass Royale die Zentralratsaktion „meine romantischste Arbeit“ nennt.

Der Berliner Künstler Tucké Royale, laut Biografie „humanoider Pseudohermaphrodit“ und kurz vor der Perestroika in Quedlinburg auf die Welt gebracht, hat zeitgenössisches Puppenspiel an der Ernst Busch Schule studiert. Als „Mogelpackung“, wie er das heute nennt. Sprich: er bewarb sich dort als Frau, obwohl er wusste: ist er nicht. Eine schizophrene Situation, „schon in der Nähe der Hochschule fing ich an zu performen“. Die Dozentenschaft ist bis auf wenige Ausnahmen nicht gut klargekommen mit ihm. Erst hieß es, er sei „zu analytisch“, dann „zu lustig“. Lediglich ein Schauspielprofessor riet: „Bleib bei dir, lass dir das Denken nicht abgewöhnen, das wird schon“. Wurde es auch. Die Zeit hat der künstlerischen Selbstfindung gedient und letztlich auch Stoff für zwei biografisch grundierte Soli geliefert. Die furios zwischen Erwartungsspiel und Identitätsscharade oszillierenden Abende „Tucké Royale“ und „Ich beiße mir auf die Zunge und frühstücke den Belag, den meine Rabeneltern mir hinterließen“.

Der schwarze Winkel - eine Verfolgungsgeschichte ohne Trennschärfe

Gesellschaftliche Ausgrenzung ist ein wiederkehrendes Thema bei Royale. Das Gefühl, nicht vorgesehen zu sein in der Welt. Was viel zu tun hat mit der Geschichte jener Menschen, die von den Nazis als „Asoziale“ verfolgt und mit schwarzem Winkel markiert wurden. „Die Zahl der Opfer ist weit größer als die der gezählten Konzentrationäre“, betont Royale. Als „Asoziale“ galten Obdachlose, Unterhaltssäumige, Prostituierte, eine Zeit lang auch Roma und Sinti, es gibt Überschneidungen mit den sogenannten Berufsverbrecher, die im KZ den grünen Winkel zu tragen hatten. Eine Verfolgungsgeschichte ohne Trennschärfe. Und auch ohne die Möglichkeit, das Stigma selbstbewusst umzudeuten. „Asozial“ – das hat bis heute höchstens im Punk einen stolzen Beiklang, ist aber sonst unreflektiert benutztes Schmähwort geblieben. Tucké Royale ist in einer KZ-Gedenkstätte vor der Farbtafel mit den Winkel-Erläuterungen hellhörig geworden. Und hat sich gefragt: „Warum gibt es keinen Zentralrat der Asozialen?“ Dass er sich jetzt zu dessen „Erstem Sprecher“ erklärt hat (Slogan: „Es ist ZAiD“), versteht er als Einladung, „bundesweit Seilschaften zu gründen“. „Pre-enactment“ nennt Royale den Vorgang und erklärt: „Wir schaffen veränderte Realitäten, indem wir den Zentralrat so lange spielen, bis es ihn gibt.“ Ein Machtanspruch, nur um das klarzustellen, ist damit nicht verbunden. Die Aktion verweist vielmehr auf die Lücke in der Erinnerungskultur. Von bis heute fehlender Entschädigung der Opfer ganz zu schweigen. Eins der Anliegen: ein „Archiv der Selbstzeugnisse“ aufzubauen, mit Erinnerungsstücken, die von Angehörigen geschickt werden und die Gesichtslosigkeit aufheben sollen.

Tucké Royale will die übliche Dreiteilung in Darsteller, Publikum und Presse aufbrechen

Aktivist im Anzug. Tucké Royales Auftritte lösen häufig Irritationen aus.
Aktivist im Anzug. Tucké Royales Auftritte lösen häufig Irritationen aus.

© Georg Moritz

Die „feierliche Inauguration“ des Zentralrats fand Ende März auf Kampnagel in Hamburg statt, jetzt folgt die Fortsetzung im Studio des Gorki Theaters. In Hamburg hat Royale vor allem einen barrierefreien Begegnungsort geschaffen. Im Sinne von: Arm trifft Reich. Jung trifft Alt. Der 60-Jährige lässt sich von 16-Jährigen erklären, was ein Hashtag ist. Der Straßenmagazin-Verkäufer ist dabei, ohne als „echter Obdachloser“ kenntlich werden zu müssen. „Ich wollte gegen die übliche Dreiteilung des Raums arbeiten“, erklärt Royale. „Hier die Performer, die durch den Feuerreifen springen sollen. Dort das Publikum, das sich noch mal den Rotwein durch den Kopf gehen lässt. Und daneben die unbeteiligte Presse, die man nicht wahrnehmen darf.“ Stattdessen kam man miteinander ins Gespräch. „Allen Beteiligten war schnell klar: Mehr Unterhaltung, als dass wir uns unterhalten, wird es nicht geben.“ Was entstand, war eine Atmosphäre maximaler Schamfreiheit, in der über eigene Erfahrungen mit prekären Verhältnissen gesprochen werden konnte.

Dass auch Protest kam – in Form eines offenen Briefes vom „Arbeitskreis Marginalisierte“, der seit 2007 für die als „asozial“ Gebrandmarkten streitet –, hält Royale in erster Linie für ein „trauriges Missverständnis“. Unter anderem wurde ihm „Marketingstrategie“ vorgeworfen. „Würde ich meine Biografie schmücken wollen, wäre ich mit einem Liederabend leichter gefahren“, sagt er. Aber so ist das leider, wenn man sich ins Feld der Verfolgungsgeschichte vorwagt: Es gibt immer auch Kämpfe um Deutungshoheit und Alleinvertretungsanspruch.

Die dreitätige Zentralrats-Feier am Gorki lädt nun ein zu Diskussionen, Hörstationen und Suppeessen. Am 1. Mai veranstaltet der Zentralrat eine Begehung des Gedenkorts Rummelsburg mit dem Historiker und Kurator Thomas Irmer. Einen Tag später kommt es zum Schulterschluss mit der „Demonstration zum Internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen“ auf dem Senefelder Platz. Ein politisches Programm, natürlich. In den Worten von Tucké Royale, aber frei nach Beuys vor allem eine „soziale Plastik“.

Der Künstler hat Aufkleber zum Gespräch mitgebracht. „Unmöglicher Ort“ steht darauf, ein Zinkensymbol ist zu sehen. Damit markieren seit Jahrhunderten Vagabunden die Häuser, die ihren Weg säumen. Warnen einander etwa, dass hier Bettler vertrieben werden. Ein Missionsmitarbeiter in Hamburg hat Royale erzählt, dass auf öffentlichen Plätzen und vor Einkaufspassagen vermehrt Wasserdüsen angebracht sind, sarkastisch „Pennerduschen“ getauft. Frühmorgens werden sie angeschaltet, um Obdachlose zu vertreiben. Tucké Royale spricht nicht von Analogien zur Nazizeit. Aber sehr wohl von Kontinuitäten. „Wir kennen die Bettlerrazzien aus dem ‚Dritten Reich‘, vor allem vor den Olympischen Spielen“, sagt er. „Und es fällt uns anscheinend nicht auf, wie für bestimmte Großevents auch heute wieder das Straßenbild gesäubert werden soll.“ Bloß dass dabei nicht von „Asozialen“ gesprochen wird. Zumindest nicht offiziell.

Zentralrat der Asozialen in Deutschland, 30. April bis 2. Mai, Studio Gorki Theater, www.zentralrat-der-asozialen.de

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