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Zwölf Uhr mittags. Das Pantheon versöhnt seit altersher die antike mit der christlichen Welt. Ganz besonders an Pfingssonntag, wenn es rote Blütenblätter aus dem Himmelsrund der Kuppel regnet.

© picture alliance / dpa

Pfingsten im römischen Pantheon: Der Tag, an dem es rote Rosen regnet

Pfingstwunder aus Blütenblättern: Eines der schönsten katholischen Rituale findet an diesem Sonntag wieder in der Rotunde des römischen Pantheon statt.

Millionen Menschen strömen alljährlich nach Rom, um das architektonische Wunder der zwei wohl ehrwürdigsten Bauten der westlichen Welt zu bestaunen: Pantheon und Petersdom. Nur wenige aber wissen von einem neu belebten „Wunder“, bei dem das Pantheon an Pfingstsonntag für kurze Zeit zum Zentrum der katholischen Welt wird und den Petersdom in den Schatten stellt. Wenn der Kanonenböller auf dem Gianicolo wie jeden Tag um zwölf Uhr mittags über die sieben Hügel hallt und das Angelus-Geläut aller Glocken über den Dächern erschallt, beginnt im Pantheon ein lautloses Spektakel das keiner, der es erlebt hat, je wieder vergisst: Minutenlang regnet es Rosenblätter vom Himmel.

Dieser „Pasqua di Pentecoste“ oder „Pasqua rosata“ genannte Ritus geschieht im Anschluss an das feierliche Hochamt. Er verdankt sich zunächst der Tatsache, dass das von 118 bis 125 nach Christus erbaute Pantheon spektakulär zum Firmament geöffnet ist und der riesige Okulus, das runde, offene Dachfenster mit neun Metern Durchmesser, noch eindrucksvoller ist als die goldglänzenden Mosaiken der tambourverschlossenen Petersdomkuppel. Durch das Opaion, das runde Fenster, blickt der Besucher direkt in den Himmel, auf Sonne, Wolken, Mond und Sterne – „pan theon“ bedeutet „alle Götter“. Ungehindert dringen von oben Licht und Luft, Regen und Hagel in den weiten Kuppelraum. Nirgends wurde der Bezug zum Kosmos künstlerisch eindrucksvoller inszeniert als an diesem Ewigkeit atmenden Ort. Daher wohl ist das den Planetengöttern geweihte Pantheon eines der besterhaltenen antiken Gebäude Roms – niemand wagte es, die bauliche Substanz zu zerstören.

Hauptakteure des Rosenregens sind Roms Feuerwehrleute. Sie werfen die Blüten vom Dach ins Pantheon

Im Jahr 609 hatte Papst Bonifaz IV. den antiken Tempel in die katholische Kirche Santa Maria ad Martyres verwandelt. Bald danach regnete es erstmals aus dem Okulus Blüten. Die Wiederbelebung der Zeremonie im Jahr 1995 verdankt sich der Initiative von Monsignore Antonio Tedesco, derzeitiger Kaplan der Kirche Santa Maria im Pantheon, der dort auch an diesem Pfingstsonntag die Eucharistie zelebriert. Die Messe endet mit: „Veni, Sancte Spiritus“ (Komm, Heiliger Geist) und dem gregorianischen Choral „Veni creator spiritus“ (Komm, Schöpfer Geist“) – währenddessen beginnt der Rosenregen. Monsignore Tedesco bezieht die Blumen aus seinem Heimatort, dem kampanischen Städtchen Giffoni Valle Piana in der Provinz Salerno. Dort ernten Gärtner die gut zehntausend Rosen, die zusammen mit sieben Säcken Blütenblättern – es sind auch Mohnblätter dabei – von der Kommune gestiftet werden.

Hauptakteure der „Pioggia delle rose“ sind Roms Feuerwehrleute, die Vigili del Fuoco di Roma. Sie tragen Körbe mit den zerpflückten Rosen die 43 Meter hoch bis zum Okulusrand der Kuppel. Abwechselnd werfen zwei Feuerwehrmänner, für das Publikum unsichtbar, Wogen von Blättern durchs offene Rund.

Eine Atmosphäre, unwirklich wie ein Traum, wie ein wahr gewordenes Wunder, breitet sich aus. Alle Gesichter wenden sich nach oben, bis die erste Blätterwoge herabrieselt und die roten Blüten durch die Rotunde segeln. Surrendes Staunen erfüllt das Riesenrund des Baus. Es folgt eine zweite Woge, wieder erfüllen tausende Blätter die Luft. Hände greifen nach ihnen, klauben sie vom Marmorboden, pflücken sie von Haar und Schultern. Die Stille wird sacht durchbrochen, hier und da ertönen Rufe. In der Choreografie folgt die nächste Woge, eine weitere, eine weitere. Manchmal stürzt ein Rosenkopf in schnellem Fall herunter, während die glühend rot Blättchen immer dichter umherwirbeln, bei lichtem Sonnenschein.

Das Brausen des Heiligen Geistes, Marienverehrung, Totenkult - all das bedeutet der Blütenregen

Der Rosenregen weist nicht nur auf das Himmelsauge des Pantheon hin, er ist von vielfältiger symbolischer Bedeutung. Denn die Aufregung und das Staunen der Versammelten erinnern auch an das biblische Brausen des Heiligen Geistes, der beim ersten Pfingstfest wie ein Windstoß das Haus erfüllte, „in Feuerszungen“ auf die Apostel niederging und sie dazu befähigte, hinaus in die Welt zu gehen, um der Welt das Evangelium in allen Sprachen zu verkündigen. Die wiederbelebte Zeremonie dient der Erinnerung an diesen Moment. Während der spannungsreichen Minuten des Rosenregens stellt das Pantheon nicht nur einen symbolischen Ort der Vereinigung von Antike und Christentum dar, sondern auch den Spiegel des ersten Pfingstwunders. Und das Sinnbild der Einheit aller Nationen, urbi et orbi, des Erdkreises. Da wirkt das Pantheon fast wie das Zentrum der Welt.

Das Kultivieren der Rose, eine der ältesten Zuchtblumen, ist bereits 2700 vor Christus nachweisbar. Die Rose ist die meistbesungene Blume der Dichter, sie findet sich im Alten Testament wie in der antiken Literatur immer wieder. Die Griechen machten sie zum Attribut der Göttin Aphrodite und zum Symbol der Liebe – was sie bis heute blieb. In der römischen Antike erlebte die Königin der Blumen ihre dekadente Hochblüte. Nero ließ, wie Seneca berichtet, für eins seiner Feste eine ungemein große Menge kostbarster Rosenblätter aus Süditalien ordern und auf seine Gäste rieseln. Ägyptens Königin Kleopatra trug stets ein Kissen duftender Rosenblätter am Hals, ließ sie in ihren Gemächern und auf die Bettstatt streuen. Sie soll erst Caesar, dann Marcus Antonius zu einem Bad im Rosenmeer eingeladen haben, das einen halben Meter tief war.

Ihre sakrale Dimension erhielt die Rose seit dem 1. Jahrhundert nach Christus mit den für den Totenkult bezeugten Feierlichkeiten der Rosalia zwischen dem 11. Mai und dem 15. Juli. Dabei streute man Rosen auf die Gräber der Ahnen und brachte sie den Manen dar. So spielt der Rosenregen im Pantheon auch auf die beiden wesentlichen Funktionen das Baus an: Die Rotunde ist einerseits der Prototyp des Memorialbaus – neben Raffael und Peruzzi sind hier auch die Könige Viktor Emanuel II. und Umberto I. bestattet. Zugleich ist die Rotunde das prominenteste Vorbild für den Zentralbautypus der Marienkirche. Die duftenden Rosen gemahnen somit an die Auferstehung der Toten und an die Rose Maria, Mutter des Erlösers, der mit Dornen gekrönt wurde.

Römisch ist auch die Tradition der Goldenen Rose, die 1096 auf dem Konzil in Tours von Papst Urban II. eingeführt wurde. Das diplomatische, an die Passion Christi erinnernde Geschenk wird vom Papst an höchste weltliche Würdenträger als Auszeichnung für kirchliche Verdienste verliehen.

Wenn jetzt das Pantheonrund am Pfingstsonntag im 20. Jahr nach der Wiederbelebung der Zeremonie wieder von Tausenden Gläubigen und Touristen aufgesucht wird und minutenlang von Orgelklang und Rosenblättern erfüllt ist, wünschen Besucher sich, der Tanz der roten Blätter möge niemals enden. Doch der Rosenregen versiegt, das Reservoir ist nach einigen Minuten leer. Denen, die einige Blätter gefangen oder aufgehoben haben, wird dunkel bewusst, dass diese gemeinsamen Glücksmomente, diese kurzen Sekunden, in denen der Augenblick und die Ewigkeit miteinander verschmelzen, schon wieder vergangen sind. Kein Stöbern im Blütenbett, kein Aufwirbeln der Blätter, kein gepresstes Rosenblatt bringt sie zurück.

Nicole Hegener lehrt als Kunsthistorikerin an der Humboldt Universität zu Berlin.

Nicole Hegener

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