
© Imago, Bearbeitung: Tagesspiegel
Pilot der Zukunft: Zum Tode des Jazzdrummers Jack DeJohnette
Mit Miles Davis und Keith Jarrett zu Weltruhm: Mit dem Schlagzeuger Jack DeJohnette ist eine Legende des Jazz im Alter von 83 Jahren gestorben.
Stand:
Diese Subtilität. Diese Kraft. Diese Präzision. Und vor allem: dieser Sinn für perkussive Klanglichkeit, die sich ihren Raum nicht von der Notwendigkeit abkaufen lässt, das rhythmische Gerüst zu liefern. Wenn ein Schlagzeuger dies alles zuletzt vereinen konnte, dann war es Jack DeJohnette. Der kristallklar akzentuierte Fluss am Ride-Becken war vielleicht sein Erkennungszeichen, aber in den himmelweit verschiedenen Kontexten, in denen er es einsetzte, war es nur ein Element unter vielen.
Ob er Hardbop-Bands einen Drive verlieh, der sie über ihre Grenzen hinaustrieb oder in Fusionsexperimenten wie Compost groovte, ob er seiner eigenen Band Special Edition Schachtelrhythmen verordnete oder sich den Fliehkräften eines freien Jazz hingab, wie ihn die afroamerikanische Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) seiner Heimatstadt Chicago pflegte: Er war von einer seltenen Vielseitigkeit und blieb, anders als viele Kollegen, dabei doch immer er selbst.
Jack DeJohnette, am 9. August 1942 geboren, bildete den Abschluss einer Spieltradition, die von Max Roach über Elvin Jones, den Drummer des klassischen Coltrane-Quartetts, bis zu Tony Williams führt, dem Drummer des Miles-Davis-Quintetts mit Wayne Shorter. Jeder von ihnen hatte auf seine Weise an der Rolle des braven Timekeepers gerüttelt. DeJohnette stieg bei Davis in dem Moment ein, als der die elektrisch beheizten Hexenkessel seiner rock- und soulinformierten Phase allmählich überkochen ließ.
Mit Dave Holland und Chick Corea Musik zum Glühen gebracht
Ein umwerfendes Zeugnis dieser Zeit ist der zweite Teil der offiziellen Bootleg-Serie „Live in Europe 1969“. DeJohnette bringt hier zusammen mit Dave Holland am Bass und Chick Corea am Fender Rhodes bekannte Themen noch einmal zum Glühen.
Überhaupt hatte Jack DeJohnette das Glück, in einer Epoche des musikalischen Umbruchs groß zu werden. Sie ermöglichte ihm sowohl den Blick zurück, wie den Blick nach vorn. Während er selbst rund sechs Jahrzehnte lang der Pilot einer Zukunft war, an die sich mittlerweile Generationen nachfolgender Musiker erinnern, wusste er wiederum, was er einem Roy Haynes schuldig war.
Zu Weltruhm mit Keith Jarrett im „Standards“-Trio
Zusammen mit dem Tenorsaxofonisten und Flötisten Charles Lloyd und Keith Jarrett am Klavier schuf er Mitte der 1960er Jahre eine Musik, die in ihrer Energie und Beweglichkeit etwas von dem beerbte, was John Coltrane, der sich in „Interstellar Spaces“ verloren hatte, schon nicht mehr leisten wollte und, todkrank, bald auch nicht mehr konnte.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Zu Weltruhm gelangte Jack DeJohnette allerdings als Schlagzeuger von Keith Jarretts „Standards“-Trio, das bis zum Tod des Bassisten Gary Peacock fast drei Jahrzehnte Bestand hatte. Er trommelte hier mit größerer Zurückhaltung als in anderen Konstellationen, aber nicht weniger raffiniert: Auch mit seinen Besen öffnete er, selbst ein leidenschaftlicher Pianist, die Weiten dieses klavierdominierten Universums in Richtung einer ganz und gar irdischen Unendlichkeit.
Als Mensch war sie ihm nicht mehr vergönnt: Jetzt ist er im Alter von 83 Jahren in Woodstock im Kreis von Familie und Freunden gestorben. Was von ihm bleibt, ist unermesslich und von den akustischen Zeugnissen her fast unerschöpflich.
Sind es die Metamorphosen seiner personell wie stilistisch bunten Band Special Edition, die ihm auch markante Kompositionen verdankt? Oder sind es womöglich die Alben des Gateway-Trios mit Dave Holland und dem Gitarristen John Abercrombie, die zwischen Innerlichkeit und Ekstase das ganze Feld seiner Möglichkeiten ausmessen? Es lohnt sich, dem jetzt noch einmal in aller Ruhe nachzugehen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: