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Berliner Entertainer: Norman Palm: Gerührt, nicht gerüttelt

Kleine Lieder über große Gefühle: Norman Palm ist der Entertainer der Stunde. Zum Beweis legt er das Album "Songs" vor und tritt am Samstag im Magnet Club auf.

Norman Palm wohnt im vierten Stock. Seitenflügel, Altbau, Prenzlauer Berg. Unter ihm lebt der Philosoph, und der ist – im Gegensatz zu Palm – ein großer Freund der Systematik. Der Philosoph steckt im Augenblick in einer intensiven Talking-Heads-Phase, der wiederum ei ne nicht minder intensive Roxy-Music- Phase vorausgegangen war (inklusive aller Soloalben von Bryan Ferry). Und jetzt liegt zufälligerweise die Talking-Heads- CD, eine Empfehlung des Philosophen, auf den Holzdielen neben Palms Flauschteppich und wartet darauf, „Psychokiller“ in der kleinen Wohnung Gestalt annehmen zu lassen.

„Verrückt“, sagt Palm, „dass zwei Wohnungen, die genau gleich geschnitten sind, so unterschiedlich eingerichtet sein können. Mein Nachbar mag Linoleum und Stein.“ Während der Philosoph im dritten Stock die Geschichte des Pop chronologisch aufarbeitet, träumt Norman Palm im vierten Stock davon, seine CD-Sammlung nach dem Komplett import auf seine Festplatte wegzuwerfen. Zu verbrennen. Zu verschenken. Egal, Hauptsache weg. Denn CDs, sagt er, seien nur Ballast.

Palm stellt die Teetasse auf seinem Plexiglastisch ab und versinkt im Sessel. Um den Hals trägt er einen Schal, seine Füße stecken in dicken grauen Woll socken, auf der Nase ein szenetypisches Brillengestell. Draußen ist es längst dunkel, Regen rauscht in den ruhigen Hinterhof: Wenn der Spätherbst einen Soundtrack brauchte, er wäre schön blöd, wenn er Norman Palm außer Acht ließe.

Jetzt verkauft der erst mal „Songs“. Das Booklet zu der CD mit zwölf herzzerreißenden Liedern ist derart aufwendig gestaltet, dass Palm für Teile daraus ein Diplom der Kunsthochschule Berlin- Weißensee bekam und man es streng genommen „Book“ nennen müsste. Alles in Eigenregie gemacht, beim eigenen Label Ratio veröffentlicht, selbst produziert, allein komponiert, gespielt und gesungen. Bei „Bitterness and Aftertaste“, dem besten Song des Albums, nimmt man bei genauem Hinhören das Kritzelgeräusch von Stift auf Papier und das Zusammenknüllgeräusch von Papier als Rhythmusgeber wahr – Pop und Grafik klug vermengt.

Es gibt nur tausend durchnummerierte Exemplare. Ganz schön viel Aufwand für einen CD-Gegner.

„Songs“ ist Palms erstes Großprojekt. 2007 veröffentlichte er eine Single mit zwei sehr simplen, abgespeckten Coverversionen: „Boys Don’t Cry“ und „Girls Just Wanna Have Fun“. Für das Video zum Cindy-Lauper-Cover hat er singende Mädchen aus Youtube zusammenmontiert, und sie wirken, als tanzten sie ihre Haarbürsten-Tänze nur für ihn.

Gerade falle ihm wieder ein, sagt Palm, was er beim letzten Besuch in seiner Heimatstadt vergessen habe: den Eltern ihr Talking-Heads-Vinyl zu stehlen. Die Heimatstadt heißt Meppen, hat 35 000 Einwohner und liegt im Emsland. Die Eltern, beide Zahnärzte, sorgten nicht nur für kariesfreie Milchzähne, sondern auch für die ordnungsgemäße musikalische Frühsozialisation des Sohnes: Musikschule, auf langen Überlandfahrten liefen im Autoradio zunächst die Beatles, später auch R. E. M. Statt Bonbons legten sie dem Sohn nahe, könne man ja auch mal eine Nuss knabbern.

Dass Norman Palm ausgerechnet in Meppen aufwuchs, ist das Ergebnis eines Ausschlussverfahrens seiner Eltern. Denn die fragten sich Mitte der siebziger Jahre: Welche westdeutsche Stadt ist am langweiligsten? Wo können wir entspannt leben? Die Palms saßen nach einem missglückten Fluchtversuch aus Ostberlin anderthalb Jahre in Gefängnissen der Staats sicherheit, bevor der Westen sie schließlich freikaufte. Palm sagt, sein Vater habe sich bei ersten Berlin- und Norman- Besuchen lieber im Westteil der Stadt ein Hotelzimmer gesucht.

„Meine Eltern hatten irgendwie recht mit Meppen“, sagt Palm, „es ist wirklich Provinz, mit braunen Sparkassen-Klinkerbauten und einer Kneipe namens ,König City‘, wo nur König Pilsner ausgeschenkt wird.“ Dann springt er auf, schlittert auf seinen Socken über die blank polierten Dielen, holt das Booklet und zeigt die Fotos, die er in Meppen gemacht hat – eine zubetonierte Fußgängerzone mit Springbrunnen, Einfamilienhäuser mit heruntergelassenen Jalousien, der Eingang zum Freibad, das Eiscafé Venezia und die Disko Rock-Palast. Das gelbe Ortseingangsschild hat er verfremdet. „Middletown Blues“ ist dort zu lesen, so heißt ein Song auf der CD.

Bis zum Abitur blieb Norman Palm der Musikschule Meppen treu. Nachdem es mit der klassischen Gitarre und dem Kinder-Cello nicht geklappt hatte, landete er bei einem Lehrer, dessen große Leidenschaft Van-Halen-Riffs waren, und bei einer Band mit dem Namen „Die Tofu-Mullahs“. Doch um bandkompatibel zu sein, musste Norman Palm feststellen, war er doch zu sehr Einzelkind.

Mit dem Apple-Programm „GarageBand“ hat Norman Palm seine ersten Lieder aufgenommen. Den Sound hat er etwas später im Studio zu imitieren versucht. Zuerst Lo-Fi mit wenigen Mitteln, dann Lo-Fi mit anspruchsvollen Mitteln. Die drei Finnen von dem kleinen Friedrichshainer Studio, dessen Räume noch vor kurzem eine Steuerkanzlei beherbergten, haben das gut hinbekommen.

Als Palm zuletzt in Meppen war, besuchte er mit einem Freund den Rock-Palast: „Wir haben Liederraten gespielt, also welches Lied wird das Nächste sein. Zum Beispiel folgt auf Type O Negative nur Korn, das funktioniert immer.“ Warum manche Provinzdiskos ihre Playlist nie ändern, dafür hat Palm keine Erklärung. Aber er kennt die Geschichte des Diskobesitzers: Der Afroamerikaner ha be früher einmal ein folgenschweres Wettrennen um einen Plattenvertrag verloren, ausgerechnet gegen Roberto Blanco. Seitdem sei er dazu verdammt, den Rock-Palast zu führen, erzählt Palm und lacht über diese Legende.

Irgendwie passt die kleine Geschichte um den Wirt vom Meppener Rock-Palast zu Norman Palm: Ihre bittersüße Tragik spiegelt sich in seinen Songs – vor allem in Palms Version von „Boys Don’t Cry“, die geronnene Melancholie ist. Die Deutsche Presse-Agentur titelte sogar: „Norman Palm rührt zu Tränen.“

„Ich weiß gar nicht. Will man das denn: Leute rühren?“, fragt er. Einen ähnlichen Effekt könnte Scarlett Johannson mit dem Satz „Ich finde mich hässlich“ erzielen. Ob er will oder nicht: Norman Palm rührt. Ob nun unbedingt zu Tränen, hängt vom individuellen Resilienzquotienten des Hörers ab. Wenn Palm keine Lust mehr auf allgemeine Rührung hat, muss er eben Lieder schreiben, die „Kill a Cat“ heißen und nicht „Rent a Cat“.

In Palms Texten geht es viel ums Vermissen, um Abschiede, den Phantomschmerz. Liegt auf der Hand, dass das mit seiner Distanzbeziehung zu tun hat: Palms Freundin lebt in Mexiko-Stadt. „Eine megagroße, eine gefährliche, eine umständliche Stadt“, erzählt er und wirft einen Blick in seine leere Tasse. „Aber die Menschen dort sind zutraulicher.“ Wenn Zutraulichkeit eine typisch mexikanische Eigenschaft ist, müsste Norman Palm bald als König von Mexiko inthronisiert werden.

Im Januar kommt seine Freundin wieder zu Besuch nach Berlin. Felleinlagen für ihre Stiefel hat sie schon bei ihm bestellt. Seltsam – dass sie kalte Füße bekommen könnte, ist eigentlich ausgeschlossen.

Norman Palm spielt am Samstag, 13. Dezember, im Magnet Club, 22 Uhr.

Esther Kogelboom

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