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The Head And The Heart

© Kyle Johnson

Konzertkritik: The Head And The Heart im Ballhaus Berlin

The Head And The Heart wirken auf der winzigen schmiedeisern umfriedeten Bühne des Ballhauses Berlin keineswegs deplaziert. Wahre Kreativität findet überall Raum zur Entfaltung.

Neulich erst ist der amerikanischen Folkrockband The Head And The Heart in der Passionskirche etwas Erstaunliches gelungen: im Vorprogramm von The Low Anthem konnten sie ein Publikum, das vorher noch nie etwas von ihnen gehört hatte, derart von sich überzeugen, dass nach einer vehement erklatschten Zugabe etliche ihrer im Sturm eroberten, neuen Fans, auf der Stelle eine Platte kaufen wollten. Fehlanzeige. Ihr Debütalbum, das die junge Band im letzten Jahr ausschließlich in Eigenregie in den USA vertrieben hatte, wird erst am 24. April in neu gemasterter und ergänzter Form offiziell erscheinen.

Um vorher noch einmal auf die Newcomer aus Seattle und ihre bevorstehende Veröffentlichung von The Head  And The Heart aufmerksam zu machen, geben sie zum Ende ihrer Europa-Rundreise noch ein besonderes "Showcase"-Konzert in Berlin, zu dem es keine Eintrittskarten zu kaufen, sondern nur zu gewinnen gab. Dass es dann wirklich ein Gewinn war, sollte sich schnell zeigen.

Das Ballhaus Berlin bietet einen bizarren Rahmen für ein Rockkonzert. In einem Ambiente abblätternder Schäbigkeit in Dunkelrot, mit Stuck an den Wänden, der wirkt wie bröckelige Baisers. Dazu nummerierte gläserne Kugellampen und alte Bakelit-Tischtelefone. Das alles strahlt einen merkwürdigen vergilbten Charme vergangener Zeiten aus. Doch dann wird der Laden durch die gedrängte Ansammlung herumstehender junger Menschen mit grünen Bierflaschen für einen Abend zum coolen Konzertsaal.

Und natürlich durch die Band. The Head And The Heart wirken auf der winzigen schmiedeisern umfriedeten Bühne keineswegs deplaziert, obwohl die sechs Musiker kaum Platz haben auf dem schmalen Podium. Aber wahre Kreativität findet überall Raum zur Entfaltung. Und der Band scheint es hier zu gefallen. Sie haben Spaß, das sieht und hört man, von Anfang an.

Am Anfang ist ein leichtes "Klick-Klick-Klick" des Drummers Tyler Williams, rhythmisches Rasseln vom langen Jonathan Russel. Schellenkranz und Schüttelhölzchen. Josiah Johnson und Charity Thielen. Alle in Bewegung. Schlenkern, Wippen, Tänzeln. Eine Akustigitarre und mehrstimmiges "uh-huh-huh", Klavier dazu vom coolen Ken Hensley, hüpfende Bassgitarre von Chris Zasche. Jetzt die Drums mit Rumms, und es enfaltet sich der volle schöne Klang von The Head And The Heart mit ihrem Song "Cats And Dogs". Folk und Beat und Beatles-La-La-Las.

Der zauberhafte mehrstimmige Gesang ist eine der hervorragenden Stärken der Band. Sowie ihre Fähigkeiten immer wieder Abwechslungen zu schaffen mit drei unterschiedlichen Lead-Sängern: mit Russels herber, Johnsons lieblicher und Thielens weiblicher Stimme, sowie ihrer singenden Violine. Ständig entstehen neue Farben und Stimmungen. Mit der hin- und hergereichten Gitarre, den unterschiedlichen Spielarten, vom filigranen Fingerpicking bis zum strammen Schrammeln.

Eine Folkmelodie mutiert plötzlich zum Motown-Groove. Tempi wechseln. In "Ghosts" erscheint der Geist Paul McCartneys mit seinem kurz aufblitzenden Klavierthema von "Martha My Dear". "Sounds Like Hallelujah" nimmt mittendrin eine überraschend melodisch-rhythmische Wendung. "Rivers And Roads" wandelt sich von einer verhaltenen Folkballade zum knalligen Kracher mit gedroschenem Schlagzeug, um schließlich in einen traumhaften, sechsstimmigen A-cappella-Chor zu münden.

So wenig Platz die Musiker, die optisch ein bisschen an eine Landkommune in besten Hippie-Zeiten erinnern, auf der Bühne haben, so viel Spaß haben sie dort, wechseln dauernd die Positionen, umtanzen sich, lachen sich an, stecken sich kleine Bemerkungen zu und das Publikum an: mit ihrem Charme, ihrer guten Laune und dieser tollen Musik mit Hand und Fuß, Verstand und Herz.

Nach einer Stunde ist es schon vorbei. Umso mehr freut man sich auf die Platte. Mission erfüllt.

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