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Konzertkritik: The Pretty Things im Quasimodo

H.P. Daniels stellt fest: "The Pretty Things" ist immer noch eine tolle Band. Wer Glück hatte, war im Quasimodo dabei. Für alle anderen eine Konzertkritik.

"I'm a roadrunner, honey" kreischt Phil May ins entzückte Auditorium vom Quasimodo, wo die Fans dicht gedrängt stehen, um ihren alten Helden von The Pretty Things zu huldigen. Dick Taylor schrappt mit dem Plektrum die tiefen Saiten seiner exotischen Halbresonanzgitarre entlang, das klassische schmutzige Roadrunner-Riff donnert über die Köpfe – zwei ratternde Gitarren, Bass, Schlagzeug und ein Tamburinist. Phil May schüttelt die Maracas, drei in einer Hand, wie in alten Zeiten: "I'm a roadrunner, honey, bet you can't keep up with me..."

Mithalten mit der Energie des Sängers, der am 9. November 66 Jahre alt wird, können sicher nur wenige. Cool und lässig kann er es den ganzen jüngeren Nachwuchsrockern immer noch zeigen, was einen brillanten R&B-Shouter ausmacht: Ausdruck, Phrasing, Dynamik und Präsenz. "Don't Bring Me Down", die zweite Single der Pretty Things erreichte im Januar 1965 die Top Ten der englischen Charts. Auch 45 Jahre später klingt der Song im Konzertprogramm der Pretty Things noch zeitlos gut.

Neben Eric Burdon, Van Morrison und Mick Jagger war Phil May einer der großen Sänger der ersten Stunde des britischen R&B-Booms. Und er war der Wildeste von allen, mit den längsten Haaren und dem verwegensten Auftreten. In den Sechzigern galten The Pretty Things, die sich nach einem Song ihres Idols Bo Diddley benannt hatten, als die "hässlichste Band der Welt", "härter" als die Stones. Was sie umso attraktiver machte für rebellische Teenager, wofür sie umso mehr geliebt wurden von jugendlichen R&B-Fans. Und May war mindestens so ein Mädchenschwarm wie Jagger.

Heute allerdings stehen überwiegend alte Männer im Publikum, eine Menge bauchiger, grauzauseliger Typen, und einige, deren Haare von "Vokuhila" zu "Vonihila"-mutiert sind: Vorne nichts mehr, und um die Glatze ein schulterlanger Haarkranz. Auch bei Phil May, der seine Haare nicht mehr ganz so lang trägt wie einst, zeigt sich eine kahle Stelle auf dem Kopf und weiter unten eine veritable Bauchkugel. Doch was soll's? Hauptsache die Stimme stimmt, die Songs, und der schmutzige Sound der neuen Besetzung, der vielleicht besten, dichtesten und kraftvollsten Pretty Things der letzten Jahre.

Dick Taylor, der von Keith Richards in seiner gerade erschienene Autobiografie "Life" gewürdigt wird als "guter Musiker", spielt schöne grobe Soli, stark verwurzelt im Blues, doch manchmal auch mit einem psychedelischen Einschlag, wobei der kleine zierliche 67-jährige, der mit seiner Goldrandbrille wirkt wie ein emeritierter Kunst- oder Philologie-Professor, immer beflissen konzentriert auf das Griffbrett seiner Gitarre starrt. "Den Blues betrachtete er akademisch", schreibt Richards.

Trefflich ergänzt wird Taylor auf der anderen Bühnenseite von den rasanten Riffs, Licks, Fills und Soli des langjährigen Mitstreiters Frank Holland. Sowie vom jungen Bassisten George Perez, der als Gitarrist und Sänger mit seiner Partnerin Scarlett Wrench als Duo The Malchicks mit Folk und Blues schon das Vorprogramm bestritten hat. Er und der ebenfalls sehr junge und vorzügliche, kraftvolle Drummer Jack Greenwood könnten altersmäßig Enkel sein von May und Taylor. Musikalisch passen die jungen Hüpfer gut zu den alten Haudegen.

"The Beat Goes On", der einzige neuere Song – er stammt vom Album "Balboa Island" aus dem Jahr 2007 – beschwört den Geist der frühen Sechziger, die wilden Zeiten des Rhythm 'n' Blues aus Dartford, wo sowohl die Pretty Things wie auch die Rolling Stones ihren Ursprung hatten. Dick Taylor, ehemaliger Mitschüler von Mick Jagger und späterer Kommilitone von Keith Richards am Sidcup Art College, spielte Gitarre in der gemeinsamen Band "Little Boy Blue And The Blue Boys", bevor daraus "The Rollin' Stones" wurden, bei denen Dick Taylor den Bass spielte, weil mit Brian Jones damals noch ein weiterer Gitarrist dazugekommen war. Bald zog es ihn zurück zum Art College, doch dann gründete er 1963 mit May die Pretty Things.

Phil May lacht. Das war zu einer Zeit als er noch sehr jung und schüchtern war, sagt er heute. Aber sie könnten vielleicht einen Eindruck vermitteln, wie "Little Boy Blue And The Blue Boys" damals ungefähr geklungen haben. Ohne Bass und ohne Schlagzeug. Dick Taylor spielt Bottleneck auf einer Akustikgitarre und May singt "I Can't Be Satisfied", den alten Muddy Waters-Song, sowie Robert Johnsons "Come On In My Kitchen", zu dem Frank Holland eine krächzige Blues Harp tutet.

"Kann sich noch jemand an S.F. Sorrow erinnern", fragt May später. Eine rhetorische Frage, natürlich erinnern sich alle noch an das Album "S.F. Sorrow", das Ende 1968 herauskam, die "Rockoper" der Pretty Things, die sie stilistisch wegführte vom harten R&B der Anfangsjahre in schwebende psychedelische Klangwelten, für die sich Phil May auch eine weichere Stimme zulegte. Was ihm und der Band viele alte Fans damals nie so recht verziehen haben.

Heute hören sich Songs wie "S.F. Sorrow Is Born" und "She Says Good Morning", das von Taylor gesungene "Baron Saturday" oder die "Unplugged"-Ballade "Lonliest Person" wieder ausgesprochen interessant an, mit Taylors sitarartig sirrender Gitarre oder den Unisono-Zwillingsgitarren-Passagen mit Frank Holland. May singt dabei auch etwas rauer.

Überwiegend jedoch besteht das Programm des Abends aus den schönen alten R&B-Krachern der Frühphase der Pretty Things: "Come See Me", "Midnight To Six Men", "LSD". Und als Zugabe am Ende noch "Rosalyn", ihre erste Single vom Sommer 1964. Die Pretty Things sind immer noch eine tolle Band.

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